Zu zweit hoch hinaus

Job-Sharing in Kaderpositionen / 3. August 2000, "Die Weltwoche"

Symbolbild zum Thema Karriere

Zahlreiche Manager leiden unter Versagensängsten. Sie sind stressgeplagt, ausgebrannt, in zunehmendem Mass suchtgefährdet und befinden sich nicht selten am Rande von Depressionen. Viele können von einem harmonischen Gleichgewicht zwischen Job und Familienleben nur noch träumen. Herzinfarkte und Hirnschläge treffen regelmässig Vierzig- bis Fünfzigjährige, die laut Todesanzeigen "völlig überraschend" gestorben sein sollen. In Tat und Wahrheit sind sie meist an den aufreibenden Bedingungen ihrer beruflichen Funktionen zerbrochen.

Das Malaise ist bekannt, in Studien beschrieben und mit harten Zahlen untermauert. Was läge also näher als Stellen im mittleren, aber auch oberen Kader, deren Anforderungerunsprofil kein normaler Mensch allein genügen kann, zu teilen oder wie es heutzutage heisst, zu splitten oder sharen?

Unter Experten herrscht denn auch weitgehend Einigkeit, dass Jobsharing ein Arbeitszeitmodell ist, das eindeutig mehr Umsetzung verdienen würde. Der Arbeitswissenschaftler Eberhard Ulich konstatiert: "Die Firmen können nur gewinnen." Toni Holenweger von der Zürcher Gruppe Corso, die auf Zeitmodelle spezialisiert ist, doppelt nach: "Jobsharing im Kader ist eine anerkannte Resource, deren Einsatz betriebswirtschaftlich sinnvoll ist."

Diverse Initiativen

Zahlreiche Initiativen unterschiedlicher Herkunft zeugen von dem wachsenden Interesse, das am Thema Jobsharing im Kader besteht. Das Projekt "Topsharing", das vom Verein Netzwerk Arbeitsgesellschaft getragen, vom Schweizerischen Arbeitgeber-Verband unterstützt und vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann mitfinanziert wird, verfolgt das Ziel, diesem Arbeitszeitmodell zu mehr Akzeptanz und Umsetzung zu verhelfen. Innerhalb der bernischen Kantonsverwaltung ist es das Projekt "Parte", das neue Jobsharing- und Teilzeit-Stellen im mittleren und oberen Kader schaffen will. Die lichtensteinische Landesverwaltung betraute die Arbeitszeit-Expertin Gabrielle Merz Turkmani damit, den "Ist-Zustand und die Entwicklungsmöglichkeiten von Jobsharing und qualifizierter Teilzeitarbeit auf allen Hierarchiestufen" zu erheben.

Innerhalb der Schweizerischen Bundesverwaltung machte Merz Turkmani vor kurzem drei geteilte unter insgesamt 766 Stellen im obersten Kader und elf geteilte unter gesamthaft 4823 Posten im mittleren Kader aus. Damit haben die Beamten die Manager der Privatwirtschaft für einmal deutlich überflügelt. In zehn von der "Weltwoche" befragten Unternehmen von der Credit Suisse über die Winterthur Versicherung bis hin zu ABB und McKinsey gab es nämlich in Sachen Jobsharing im Kader rein gar nichts zu berichten.

Einer, der die Arbeitsform des Jobsharing nicht nur in der Theorie erforscht, sondern seit drei Jahren mit einer Kollegin praktiziert, ist Theo Wehner, Professor für Arbeitspsychologie an der ETH Zürich. Seine überaus positive Bilanz: "Jobsharing schafft Freiräume und Autonomie, gesteigerte Arbeitsfreude, mehr Motivation und damit auch Kreativität." Selbstverständliche Abläufe in einer Organisation würden in Frage gestellt, und die Erwerbsarbeit erscheine immer wieder in einem ganz neuen Licht. Das stelle zwar zuweilen eine Provokation dar, sagt Wehner, berge aber gleichzeitig ein grosses Innovations-Potenzial.

Viele denken, Macht sei unteilbar

Allen offensichtlichen Vorzügen zum Trotz hält sich der Widerstand gegen das Arbeitszeitmodell hartnäckig, das zu Beginn der achtziger Jahre erstmals in pädagogischen und pflegerischen Berufen umgesetzt wurde. Besonders zählebig sind die Vorbehalte in der Privatwirtschaft. Führungsverantwortung und Macht gelten nach wie vor als unteilbar. Dass hierzulande sowohl nationale wie kantonale Regierungsgremien täglich das Gegenteil beweisen, gerät dabei stets in Vergessenheit. Beschworen wird hingegen die Angst vor Mehrkosten, zusätzlichem administrativem Aufwand und der schwierigen Personalrekrutierung. Was geschieht, fragen die Neinsager besorgt, wenn sich das Jobsharing-Paar streitet oder - noch schlimmer - wenn eine(r) von beiden vorzeitig aussteigt? Vorgesetzten, heisst es, würde unzumutbare Mehrarbeit aufgebürdet; schliesslich hätten sie fortan zwei Ansprechpartner. Teams gerieten durcheinander, weil niemand mehr wisse, wer wann die zuständige Führungsperson sei. Wer Karrierepläne hege, könne die im Jobsharing augenblicklich beerdigen, weil die Profilierung des oder der einzelnen gar nicht möglich sei.

"Bei genauer Prüfung", hält Eberhard Ulich, emeritierter Professor der Arbeitspsychologie, dagegen, "erweisen sich die meisten vorgetragenen Gegenargumente als vorgeschoben und keineswegs stichhaltig." Was Jobsharing hingegen wirklich bedrohlich mache, sei die Befürchtung, zwei Personen seien nicht im gleichen Masse kontrollierbar wie eine einzelne. Gabrielle Merz Turkmani, Verfasserin der empirischen Studie "Jobsharing auf Managementebene", weiss zudem, dass das Teilen von Stellen "sowohl das Präsenzzeitdenken wie auch den Mythos von der Unersetzbarkeit einer Führungskraft in Frage stellt." Darüber hinaus wirke Jobsharing regelrecht "subversiv", da Frauen auf diesem Weg "zu ernsthaften Konkurrentinnen im Kampf um die mit den flachen Hierachien immer rarer werdenden Chefposten werden können."

Archaische Ängste

Andreas Uetz, Jurist und seit dreieinhalb Jahren Co-Leiter des Jugendsekretariats Dielsdorf, vermutet, dass Job-Sharing auf Kaderstufe so viel Ablehnung erfährt, weil es die stets beschworene Unvereinbarkeit von Karriere, Teilzeitanstellung und gelebter Elternschaft widerlege: "Angesichts der Jobsharing-Alternative können sich Väter nicht länger hinter Sachzwängen verstecken, sondern müssen ihren Anteil an der Familienarbeit selber verantworten." Das wecke archaische Ängste und mobilisiere tiefsitzenden Widerstand.

Trotzdem gibt es gute Gründe, an eine Zukunft der Arbeitszeitvariante zu glauben. Die Vorbehalte gegen Jobsharing im Kader, so Arbeitszeitexperte Toni Holenweger, erinnerten ihn an jene, die noch vor wenigen Jahren gegen Teilzeitanstellungen von Führungskräften angebracht, inzwischen aber gründlich ausgeräumt worden seien. Eine günstige Prognose stellen dem umstrittenen Modell insbesondere auch jene, die sich selber eine Stelle teilen.

Wie zum Beispiel Haia Müller und Christine Kunovits, Leiterinnen des Ressorts Reportagen bei der Zeitschrift "Annabelle". Die beiden sind zu 50 beziehungsweise 60 Prozent angestellt und wechseln sich wochenweise ab, wobei sie jeden zweiten Montag gemeinsam auf der Redaktion sind. Sie schätzen die Möglichkeit, sich mit einer kompetenten Partnerin austauschen zu können und fühlen sich insbesondere in Konfliktsituationen unterstützt und mitgetragen. Daneben geniessen sie ihre so gewonnene Freiheit, sind entspannter und treten ihren jeweiligen Leitungsturnus mit "echt guter Laune" an. Ihr achtköpfiges Team begrüsse es, von zwei Frauen ganz unterschiedlicher Art geführt zu werden. Die Chefredaktion habe ihr Einverständnis, eine Kaderstelle zu splitten, ursprünglich nicht zuletzt unter dem Druck gegeben, andernfalls Kunovits zu verlieren, die unbedingt ihr Pensum reduzieren wollte. Inzwischen sei sie allerdings "glücklich" mit dieser Lösung und begegne ihnen mit grossem Wohlwollen.

Beträchtliche Einkommenseinbussen

Ohne Unterstützung der Vorgesetzten, sagt Brigitte Muff, leitende Ärztin am Spital Bülach, sei das "bestdurchdachte Jobsharing-Modell zum Scheitern verurteilt". Die Chirurgin hat diesbezüglich offensichtlich Glück gehabt, teilt sie sich doch bereits seit 1994 ihre Stelle. Zur Zeit haben sie und ihr Partner je ein 55 Prozent-Pensum inne, das sie gemäss ihrer beider Bedürfnisse in Wochen- oder Monatsblöcken absolvieren. Ihr schriftliches Fazit in der "Schweizerischen Ärztezeitung": "Wir erreichen mit unserem Modell vor allem die Freiheit, uns fortzubilden, ohne unsere Familien zu vernachlässigen. Dafür nehmen wir eine beträchtliche Einkommenseinbusse in Kauf, die sich allerdings lohnt. Erstens, weil die dabei realisierte Zunahme an Lebensqualität unbezahlbar ist. Und zweitens, weil mit 8000 Franken pro Monat immer noch eine Familie ernährt werden kann."

Angetan vom Jobsharing sind auch Andreas Uetz und Marie-Luise Hänseler, die die Leitung des Jugendsekretariats Dielsdorf mit vierzig Angestellten gemeinsam bestreiten. Beide stehen je zwei Abteilungen vor und übernehmen bei Abwesenheit des/r anderen die Stellvertretung. Mittwochnachmittag sind Uetz und Hänseler gemeinsam präsent und regeln die Übergabe der Geschäfte. Der Informationsaustausch, sagt Uetz, stelle die grösste Herausforderung an ein Jobsharing-Paar dar: "Er darf nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen, muss aber dennoch angemessen durchgeführt werden." Auch Hänseler, die die zweite Partnerin von Uetz und erst seit Februar im Amt ist, war zunächst überrascht über das Ausmass des Kommunikationsaufwands. Gleichzeitig betont sie aber, dass intensiv diskutierte Entscheide eben auch "reflektierter und ausgereifter" seien. Dazu stelle ja auch die Möglichkeit des Austauschs und gegenseitigen Feed Backs gerade eine der Chancen des Jobsharings dar: "Man trainiert regelmässig seine Beziehungsfähigkeit und wappnet sich gleichzeitig gegen die Vereinsamung, die oft mit Führungsfunktionen verbunden ist."

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© Barbara Lukesch