Ein Don Juan als Bundesrat?

Bundesrats-Ehen / 30. November 2003, "NZZ am Sonntag"

Symbolbild zum Thema Karriere

Bundesrats-Ehen halten wie Pech und Schwefel. Ihre Dauerhaftigkeit scheint aber nicht Folge des hohen Amtes - sie ist die Voraussetzung.

Man registriert es mit Sorge: In der Schweiz geht mittlerweile fast jede zweite Ehe kaputt. Um die Deutschen steht es diesbezüglich nicht viel besser. Gerade erst machte Aussenminister Joschka Fischer mit seiner vierten Scheidung von sich reden - und rief damit in Erinnerung, dass sein Chef, Bundeskanzler Gerhard Schröder, in dieser Hinsicht auch schon dreimal gestolpert ist.

Da loben wir uns die hiesigen Magistraten. Sie sind nämlich lupenreine Vorbilder in Sachen ehelicher Konstanz. Bundesrat Samuel Schmid ist seit 32 Jahren mit seiner Vreni verheiratet. Micheline Calmy-Rey hält André gar seit 37 Jahren die Treue. Auch die Ehen von Kaspar Villiger und Pascal Couchepin haben rund drei Jahrzehnte überdauert. Selbst Ruth Metzler, mit 39 Jahren die Jüngste im Bunde, segelt auf Kurs: Den Hafen der Ehe hat sie mit ihrem Partner Lukas bereits vor zwölf Jahren angesteuert. Seit kurzem ist nun auch Moritz Leuenberger unter der Haube. Er hat sein langjähriges Konkubinat mit der Architektin Gret Loewensberg gegen den amtlich beglaubigten Ehestand eingetauscht. Diesbezüglich fügt sich für einmal sogar der geübte Neinsager Christoph Blocher ins gutbürgerliche Bild. Zu Silvia hat der heutige Bundesratskandidat schon vor 34 Jahren Ja gesagt.

Warum halten die Beziehungen so lange?

Warum, fragt man sich angesichts dieser beeindruckenden Bilanz, trotzen ausgerechnet die Ehen hochrangiger Schweizer Politiker allen Fährnissen und emotionalen Verwerfungen der modernen Gesellschaft? Warum halten die Beziehungen von Herrn und Frau Bundesrat so lang?

Der Zürcher Soziologieprofessor Kurt Imhof ist überzeugt, «dass die Inszenierung von Stabilität und Seriosität zum Karriereplan eines Bundesrats gehört». In der Regel würden hierzulande Männer und Frauen gewählt, deren politische und persönliche Reputation mehr oder minder garantiere, dass sie auch künftig in intakten Partnerschaften leben werden. Oder populärer ausgedrückt: «Ein Don Juan hätte in der Schweiz keine Chance, Mitglied der Landesregierung zu werden.»

Wie vorteilhaft stabile private Verhältnisse sind, lässt sich am Beispiel von alt Bundesrat Adolf Ogi zeigen, der seinen damaligen beruflichen Alltag in seiner ganzen Härte schildert. Er habe während seiner dreizehnjährigen Amtszeit 18 Stunden pro Tag gearbeitet, sei in aller Regel morgens um fünf Uhr aufgestanden, häufig erst tief in der Nacht nach Hause gekommen und nonstop mit den Gedanken im Amt gewesen. Wer dermassen gefordert werde, sagt der 61-Jährige, sei auf ein intaktes familiäres Hinterland angewiesen: «Als Bundesrat kann man sich keine privaten Probleme leisten.» Man lobe sich eine gute Partnerin, die einem den Rücken freihalte, die Kinder grossziehe und die vielen wichtigen Aufgaben zu Hause erledige.

Auch Kaspar Villiger, der freisinnige Finanzminister, verbringt täglich mindestens vierzehn Stunden im Büro und betont, dass dieses Amt ein «Rund um die Uhr»-Job sei, der von Frau und Kindern grosse Opfer fordere: «Ohne die Toleranz der Familie und das Mittragen meiner Frau Vera wäre das alles nicht möglich gewesen.»

Stabile Ehen sind demnach eine wichtige Voraussetzung, damit Bundesräte den Anforderungen ihres Amtes überhaupt genügen können. Darüber hinaus müssen sie aber auch den hohen ideellen Erwartungen ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger gerecht werden. Nicht umsonst bezeichnet das Volk gestandene Regierungsmitglieder als Landesväter oder Landesmütter. Ungeachtet dessen, was die breite Masse selber treibt, mutet sie ihren Regierenden eine Vorbildfunktion zu, die der gesellschaftlichen Tendenz zur Liberalisierung diametral zuwiderläuft. «Die Bundesräte haben der allgemeinen Projektion von untadeliger Integrität zu entsprechen», konstatiert der Berner Paartherapeut Klaus Heer. Mit andern Worten: Wer an der Spitze dieses Landes steht, muss ein ganz besonderer Mensch sein. Korrekt, sauber und - vor allem - treu.

"Brave Mannen"

Das politische System befördert folgerichtig Magistraten, die diesem Anspruch genügen. Mitglieder einer Kollegialbehörde empfinden sich, von Ausnahmen abgesehen, eher als Staatsdiener denn als Regenten. Auf diesem politischen Nährboden gedeihen «brave Mannen» wie Samuel Schmid, Kaspar Villiger oder Joseph Deiss weit besser als narzisstische Polit-Darsteller vom Schlage eines Joschka Fischer oder Gerhard Schröder. Dass Fischer und Schröder der Generation der Alt- 68er angehören, die einst für die freie Liebe auf die Barrikaden ging, lässt ihr Balzverhalten in den Augen der deutschen Öffentlichkeit als durchaus nachvollziehbar erscheinen. Auf der Suche nach Gründen für Fischers zahlreiche Scheidungen attestierte ihm denn auch der «Spiegel» grosszügig, er sei ein Romantiker, der es immer wieder mit Glück und grossen Gefühlen versuche: «Politisch ein Realo, ist er im privaten Leben offenbar ein rettungsloser Utopist geblieben.»

Ganz anders liest sich da die öffentliche Inszenierung von Kaspar Villigers Familienleben, etwa in der «Schweizer Illustrierten»: «Frau Vera und die Töchter Susan und Christina geniessen die vom Vater mit der Stoppuhr grillierten Würste.» Bemerkenswert war auch der etwas biedere Coup, den Bundesratsgattin Babette Deiss diesen Spätsommer zu landen suchte, als sie an der Galaparty «200 Jahre Dynastie Knie» in einem schulterfreien Kleid erschien, um so eine tätowierte Rose zu entblössen. Dass dieser Schritt bewusst erfolgte, steht für einen nicht genannt sein wollenden Szenekenner ausser Frage: «Frau Deiss wollte ihrem Mann auf ihre Weise dabei helfen, vor der Wahl sein Image aufzubessern», sagt er trocken. Nur habe sie leider ausser Acht gelassen, «dass Tätowierungen mittlerweile gar nicht mehr chic sind».

Die Leute halten an sehr engen Moralvorstellungen fest und üben ein hohes Mass an sozialer Kontrolle aus. Auf diesem Boden gedeihen die etwas spiessig anmutenden Beamten-Ehen besonders gut. Die Nonchalance des deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau, der sich schon Anfang der achtziger Jahre die Freiheit herausnahm, sich scheiden zu lassen und sich anschliessend mit einer knapp dreissig Jahre jüngeren Frau zu vermählen, gründet im klassischen Grossbürgertum und ist in der hiesigen Classe politique undenkbar. Hierzulande scheint das Maximum an tolerierter Abweichung von der Norm mit dem Konkubinat eines links-urbanen Bundesrats vom Schlage Moritz Leuenbergers bereits erreicht.

Eine Scheidung wäre delikat

Natürlich wäre die Scheidung eines amtierenden Bundesrats ein delikates und medienträchtiges Thema. So überrascht es nicht, dass bisher nur ein einziger Magistrat diese private Zäsur während seiner Amtszeit zu vollziehen wagte. Der St. Galler Karl Kobelt liess sich 1953 von seiner Gattin scheiden. Bemerkenswerterweise verlor er im darauf folgenden Jahr den Rückhalt in der FDP und sah sich zum Verzicht auf sein Amt genötigt. Interessant auch, dass das angesehene Munzinger-Archiv um dieses Faktum einen weiten Bogen macht. In der Rubrik Zivilstand heisst es unverfänglich: «Kobelt war verheiratet und hatte drei Kinder.»

Im Wissen, dass die Scheidung eines Bundesrats oder einer Bundesrätin auch heute noch als Tabubruch wahrgenommen würde, richten sich unsere obersten Magistraten bewusst oder unbewusst darauf ein, dass ihre Ehen ewig halten müssen. «Im Hinblick auf die Staatsräson und im antizipierenden Wissen, dass öffentliches Gerede droht, überlegen es sich die Mitglieder unserer Regierung sicherlich zweimal, bevor sie einen endgültigen privaten Bruch vollziehen», sagt der ehemalige CVP-Generalsekretär Iwan Rickenbacher. Erst recht gilt diese Regel für die Bundesratskandidaten.

Man erinnert sich: Ende der achtziger Jahre machten die «komplizierten privaten Verhältnisse» den Ambitionen des Urner FDP-Nationalrats Franz Steinegger den Garaus. «Sein schönster Makel heisst Ruth», titelte der «Sonntags-Blick» und rückte ins öffentliche Bewusstsein, dass Steinegger, wiewohl noch nicht geschieden, schon mit seiner neuen Partnerin unter einem Dach lebte. Da ihm in Gestalt von Kaspar Villiger ein Konkurrent gegenüberstand, dessen privater Hintergrund vorbildlich war (verheiratet, zwei Kinder, ein Hund), hatte Steinegger das Nachsehen. Diesmal trat er mit besseren Karten an. Inzwischen ist er mit Ruth Wipfli verheiratet, und seine erste Gattin ist gestorben, womit die damalige Ehe sogar in den ungnädigen Augen der katholischen Kirche als aufgelöst gilt. Dazu hat das Paar einen gemeinsamen Sohn, den zehnjährigen Benjamin, der schon etliche medienwirksame Präsentationen hinter sich hat. Das «private Gnosch», das Steinegger damals vorgeworfen wurde, ist aufgelöst und vom Tisch.

Doppelbödige Gesellschaft

Dass eine vergleichbare Situation einem Politiker heute erneut zum Stolperstein werden könnte, wird weitherum bezweifelt; die Schwelle zum Skandal liegt mittlerweile höher. Doch Steinegger selber traut dem Frieden nicht: «Unsere Gesellschaft ist doppelbödig. Sobald ein Interesse daran besteht, kann das Privatleben eines Kandidaten erneut zu dessen Ungunsten ausgeschlachtet werden.» (Steineggers neuerliche Kandidatur scheiterte parteiintern nicht am Privatleben.) Selbst Kanzler Schröder und Vize Fischer beeilten sich trotz aller Lockerheit stets, ihre neuen Partnerschaften innert Kürze gesetzlich zu legitimieren.

Wie aufmerksam unsere Gesellschaft die privaten Verhältnisse der Prominenten verfolgt, zeigte sich vor nicht allzu langer Zeit am Beispiel des damaligen Credit-Suisse-Bankers Lukas Mühlemann. Dieser hatte sich schon in aller Öffentlichkeit mit einer sehr jungen, bildschönen Brasilianerin gezeigt, als er noch verheiratet war. CSG-Boss Rainer E. Gut soll daraufhin bei Mühlemann auf Klärung seiner amourösen Verhältnisse bestanden haben. In einem nächsten Schritt pochte die Bank gar auf die Auflösung der offenbar als unpassend empfundenen Beziehung. Musste das sein? Letztlich nämlich sahen viele dem lebenslustigen Wirtschaftsführer sein sprunghaftes Verhalten nach. Ein Manager, so die Volksmeinung, ist halt auch nur ein Mann. Einem Landesvater hingegen, heisst es in Politikerkreisen unisono, wäre ein solches Verhalten als amoralisch und würdelos angelastet worden.

Selbstverständlich können sich die obersten Magistraten auch keine ruchbar werdenden sexuellen Affären erlauben. Dieses Ventil steht ihnen nach Einschätzung des Soziologen Imhof umso weniger zur Verfügung, je mehr sich auch die hiesigen Medien dem Privatleben der Bundesräte zuwenden. Die immer noch bemerkenswerte Diskretion des Boulevards, von der Politiker in den USA, Grossbritannien und Deutschland nur träumen können, trägt möglicherweise sogar zur Stabilität der Bundesrats-Ehen bei. Paartherapeut Heer jedenfalls vermutet, dass «der Diskretions-Konsens diese Ehen schützt, denn Schnüffelei im Privaten und andauerndes Rampenlicht bedrohen und belasten jede Beziehung.»

Einheitliche Sprachregelung

Wie rücksichtsvoll die Schweizer Journalisten mit dem Privatleben der Bundesräte noch immer umgehen, zeigt sich daran, dass deren Gattinnen und Gatten in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt sind. Wer sind eigentlich Frau Villiger, Frau Deiss, Frau Schmid oder Herr Calmy-Rey, jene Menschen also, die einen nicht unbeträchtlichen Anteil am Gelingen der Bundesrats-Ehen für sich beanspruchen können?

Die Bundeskanzlei, offenbar irritiert durch die Recherchen der «NZZ am Sonntag» in den verschiedenen Departementen, bemühte sich um eine einheitliche Sprachregelung und mailte politisch korrekt: «Gerade weil die Gattinnen/Gatten von Bundesratsmitgliedern ein eigenständiges Leben führen und nicht oder nur ganz selten in die Aktivitäten ihres Partners/ihrer Partnerin involviert sind, sollen sie auch als eigenständige Persönlichkeiten und nicht als Bundesrats-Partnerin/Partner wahrgenommen werden.» Wer sich so verkauft, ruft geradezu nach satirischen Vergleichen. Als damals Fotos von Shawne Fielding Borer hoch zu Ross in der Schweizer Botschaft in Berlin erschienen, montierte eine Illustrierte Babette Deiss fotografisch auf einen Esel und liess sie durchs Bundeshaus traben. Dort die glamouröse Amerikanerin mit einem Hang zu Exzentrik und Selbstdarstellung; da die brave Gattin des Aussenministers, bieder wie eine graue Maus. Die vornehme Zurückhaltung hat auch Nachteile.

Im Gegensatz zu ausländischen Vorbildern nutzen die Bundesratsgattinnen ihren Status nicht einmal als Schirmherrinnen von Stiftungen und Hilfsorganisationen. Viel lieber stehen sie nahezu unsichtbar im Schatten ihres wichtigen Gemahls. Auch das ist eine Folge des Kollegialsystems, in dem sorgfältig darüber gewacht wird, dass keine(r) aus der Reihe tanzt. Polit- Kenner Iwan Rickenbacher konstatiert: «Würden die Partnerinnen profilierter auftreten, käme ein zusätzliches Unterscheidungskriterium unter den Regierenden ins Spiel und könnte zu Konkurrenz in der Kollegialbehörde führen.» Die Frage «Wer hat die Schönste im ganzen Land?» könnte die Ordnung im Schweizer Bundesrat durcheinander bringen.

Unterschiedliche Schmerzgrenzen

So tragen die Ehefrauen weiterhin die Verantwortung für das private Hinterland, üben Verzicht und bringen unendliches Verständnis für ihren Partner auf, der sein Familien- und Eheleben jahrelang dem anspruchsvollen politischen Amt unterordnet. Dass dies mehr als eine Vermutung ist, wird jeweilen beim Rücktritt eines Bundesrats oder bei offiziellen Anlässen deutlich. In solchen Momenten bedanken sich die Magistraten gern in aller Öffentlichkeit bei den Ihren, wie es kürzlich Pascal Couchepin tat: «Ohne die Familien, die uns Politiker stützen und ertragen, wäre Politik nicht möglich.»

Mit solchen Grussbotschaften mochten sich die Ex-Gattinnen von Joschka Fischer, beruflich qualifizierte und selbständige Frauen, irgendwann nicht mehr zufriedengeben: «Claudia war es einfach leid, abends lange auf ihn zu warten und schliesslich einen zwar zunehmend bedeutenderen, aber gleichzeitig reichlich erschöpften Herrn neben sich im Bett zu haben. Nicola hielt es nur sehr kurz aus, das Anhängsel des deutschen Aussenministers zu sein.» («Spiegel» 39/2003)

Solche Töne hörte man von Frau Ogi, Frau Villiger oder Frau Schmid bis heute nie, und so wird es wohl auch in Zukunft sein. Möglich, dass die Bundesrats-Ehen ihre Stabilität nicht zuletzt einer Frauengeneration verdanken, die sich ganz gern mit der traditionellen Rolle der Hausfrau und Mutter identifiziert und die eheliche Symbiose als durchaus befriedigend erlebt. Das gilt von der Aufgabenteilung her auch für Silvia Blocher. Darüber hinaus ist sie jedoch eine Politikergattin, die man in der Öffentlichkeit kennt, die grosse Interviews gibt und zudem häufig an der Seite ihres Mannes im Fernsehen oder an publizitätsträchtigen Veranstaltungen wie dem jährlichen Albisgütli-Treffen der SVP in Zürich auftritt. Sollte Blocher Bundesrat werden, bekommt die Schweiz eine «First Lady», die sich nicht scheut, im Rampenlicht zu stehen.

Der Soziologe Imhof hält diese Entwicklung, so weit sie Blochers Karriere betrifft, für nicht ganz ungefährlich: «Der Staatsmann, der das Private zu politischen Zwecken bewirtschaftet, geht das Risiko ein, dass er bei Abweichungen mit einer erheblichen Rufschädigung rechnen muss.» Im Klartext: Gibt's bei Blochers private Konflikte, werden sich die Medien nicht scheuen, den Fall an die grosse Glocke zu hängen. Schliesslich ist Frau Blocher im Gegensatz zu Frau Villiger bereits heute eine Person des öffentlichen Interesses.

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© Barbara Lukesch