Kampf gegen Klischees

Carolina Müller-Möhl / 22. April 2004, "Facts"

Symbolbild zum Thema Karriere

Carolina Müller-Möhl, eigenwillig und erfolgreich, gehört seit dieser Woche zu den mächtigsten Frauen der Schweizer Wirtschaft. Nach dem Tod ihres Mannes glaubten noch viele, sie könnten 'das Meitli' über den Tisch ziehen.

Der erste Kontakt ist frostig. Misstrauisch notiert Carolina Müller-Möhl feinste Nuancen in der Stimme und hegt augenblicklich den Verdacht, man begegne ihr voller Aggressionen. Nach längerem Hin und Her willigt sie am Telefon zu einem Treffen ein, keinem Interview, sondern einem Hintergrundgespräch, in dem sie Eindrücke, aber keine zitierbaren Aussagen vermitteln will. Immerhin.

Hat doch die Verwaltungsrats-Präsidentin der Müller-Möhl-Group ein gelinde gesagt schwieriges Verhältnis zu den Medien. Die Unternehmerin gilt als kompliziert und unberechenbar. Mal tritt sie sehr charmant auf, dann wieder reizbar. Stets wittert sie Gefahr und ist auf der Hut. Bevor sie Journalisten empfängt, zieht sie Erkundigungen über deren Reputation ein. Wenn ihr etwas nicht passt, interveniert sie auch mal spätabends bei der Chefredaktion und droht aus heiterem Himmel mit rechtlichen Schritten.

Dieses Verhalten lässt sich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. So wird sie auch vier Jahre nach dem Unfalltod ihres Mannes Ernst Müller-Möhl, des bekannten Investors, immer noch auf die Rolle der jungen, schönen und reichen Witwe reduziert. Ihre Eignung zur Führung eines Unternehmens wird mitunter offen, häufiger aber auf subtile Art angezweifelt. Selten nur befragt sie jemand über ihr berufliches Engagement, über die Beteiligungen ihrer Gruppe an Firmen wie Ascom oder Medica, regelmässig aber über ihre Gefühlswelt und ihre Verantwortung als allein erziehende Mutter: «Macht es Ihnen nichts aus, Elias (ihren Sohn) zu vernachlässigen?» Man mutet ihr Fragen zu, die man keinem Mann in einer vergleichbaren Position stellen würde: «Kennen Sie die Höhe Ihres Vermögens?» («Schweizer Illustrierte»)

Neu im Nestlé-Verwaltungsrat

Diese Woche wird Carolina Müller-Möhl neben Altbundesrat Kaspar Villiger neu in den Nestlé-Verwaltungsrat gewählt, den Olymp der globalisierten Schweizer Wirtschaft. Dort trifft sie auf Unternehmergrössen wie Rainer E. Gut (früher Credit- Suisse-Chef), Nobuyuki Idei (Präsident von Sony) oder den Schweizer Hightech-Pionier André Kudelski. Als der «Blick» über ihre Nominierung berichtete, illustrierte er den Artikel mit zwei Bildern: Villiger in Anzug und Krawatte, Müller-Möhl im tief ausgeschnittenen Abendkleid. Gleichzeitig unterschlug das Wirtschaftsblatt «Cash» in einem Artikel über den neuen Ascom-Chef den Namen ihrer Gruppe, hängte jenen von Tito Tettamanti dafür an die grosse Glocke. Dabei hält die Müller-Möhl-Group 15 Prozent der Ascom-Aktien, Tettamanti jedoch nicht einmal 10. In solchen Momenten gerät die Unternehmerin in Rage und kann sich zünftig ins Feuer reden.

Eines Tages drehte sie den Spiess um und ging in die Offensive. Beim Verlegertreffen 2002 trug sie ein Referat mit dem Titel «Medienpräsenz als Gratwanderung?» vor. Darin hielt sie den Anwesenden mit viel Witz den Spiegel vor und listete Beispiele von Falschmeldungen auf, die sie betrafen: Eine erdichtete Schwangerschaft etwa («Cash») oder die Schlagzeile «Müller-Möhl-Witwe musste Lebenswerk ihres Mannes aufgeben» («SonntagsBlick»). Über die Höhe ihres Vermögens beziehungsweise ihrer Verluste im Zug des Börsencrashs wird ebenso frei spekuliert wie über ihr Alter: Mal ist sie 28, mal 32, in Tat und Wahrheit zählt sie 36 Jahre. Mit feiner Ironie schlug sie den Medienvertretern vor: «Wir können uns heute ja darauf einigen, dass wir für die nächsten Jahre bei 28 bleiben.»

Das Publikum war angetan von ihrem Auftritt. Sollte Müller-Möhl doch mehr sein als ein «blondes Dummchen», fragten sich viele hinter vorgehaltener Hand. Was nicht sein darf, kann nicht sein. So machte flugs das Gerücht die Runde, der Publizist Karl Lüönd habe ihre Rede geschrieben. Lüönd bestreitet dies ausdrücklich: «Ich habe Frau Müller-Möhl im Verdacht, dass sie das selber kann.» Und sonst wäre es auch keine Katastrophe, schliesslich lassen sich die meisten Firmenchefs ihre Reden von Ghostwritern schreiben.

Ungädig im Urteil

Doch an Carolina Müller-Möhl werden andere Massstäbe angelegt. Nicht nur die Medien, auch grosse Teile der Finanzbranche und der Zürcher Society zeigen sich besonders ungnädig in ihrem Urteil über sie. CMM, so ihr internes Kürzel, vereinigt in ihrer Person einen aufregenden Mix: Jung ist sie, attraktiv, gebildet und gescheit und dazu noch eine schwerreiche Witwe mit einem kleinen Kind und einem schönen Geliebten, dem Privatbanker Roger Lehmann, mit dem sie einen Hang zu den Partys des Jetsets teilt.

Als ihr Mann starb, erwarteten viele, dass sie das Finanzimperium nach gebührender Trauerzeit verkaufen und sich bescheiden ins Privatleben zurückziehen würde. Sie tat das Gegenteil und weckte damit bei zahlreichen Männern Aggressionen und bei Frauen Neid. Was masst sich die eigentlich an, stichelten Geschlechtsgenossinnen; das schafft sie ohnehin nicht, ereiferten sich männliche Konkurrenten, die sie oft nicht einmal persönlich kannten. Wie gross das Ärgernis ist, das die zierliche Frau für diese Leute darstellt, merkt man an der Schadenfreude, die aufkam, als bekannt wurde, dass ihr Haus mitten in der lärmgeplagten Zürcher Anflugschneise Süd steht.

Nun bedient Carolina Müller-Möhl mit der Art, wie sie in den Medien auftritt, zum Teil tatsächlich das Klischee einer nichts sagenden, blasierten Person. So verkündet sie beispielsweise: «Eine multikulturelle Gesellschaft kann durchaus eine interessante Gesellschaft sein.» Oder: «Mein neues Haus zeigt eine sehr ruhige, reduzierte, puristische, lineare, minimale Gestaltung, die mir Freiraum lässt, meine Gedanken fahren zu lassen.» Fremdwörter stehen bei ihr hoch im Kurs: Mal ist etwas «systeminhärent», dann «charakterinhärent», und zuletzt tätigt sie eine «Introspektion». Als sie in der Radiosendung «Musik für einen Gast» mitwirkte, wünschte sie sich eine Ode an Ella Fitzgerald von Dee Dee Bridgewater, ein Stück von Nigel Kennedy sowie Ausschnitte aus dem wohl temperierten Klavier von Bach und aus dem Elias-Oratorium von Mendelssohn. Sie hinterliess den Eindruck, als habe sie die Auswahl mit äusserster Anstrengung und einzig bedacht auf die gute Wirkung getroffen. Handkehrum war sie gleichzeitig bereit, in der «Annabelle Business» als Fotomodell Kleider vorzuführen, mochte aber der «Weltwoche» kein Interview geben. «Carolina Müller-Möhl ist als Mensch nicht fassbar», heisst es darum verschiedentlich. Sie wirke klinisch, unnahbar und lasse sich nicht in die Karten gucken.

Fragen zu ihrer beruflichen Kompetenz und ihrem Leistungsausweis sind durchaus berechtigt. Schliesslich sitzt sie auf einem Posten, den sie einem Schicksalsschlag verdankt und nicht erbrachter Leistung. Aber damit befindet sie sich auch unter Männern in bester Gesellschaft.

Schirmherrin der Stiftung Luna

Das Gespräch in ihrem lichtdurchfluteten Büro am Zürcher Weinplatz führt sie als aufmerksame Person. Gerne gibt sie Auskunft über ihr Unternehmen, das Beteiligungen in der Höhe von mehreren hundert Millionen Franken an verschiedenen Schweizer Firmen hält. Hocherfreut berichtet sie vom guten Geschäftsgang. Ebenso gern erzählt sie von ihrem neuesten Engagement als Schirmherrin der Stiftung Luna, in der sich eine Gruppe von Ärzten, darunter Präventivmediziner Felix Gutzwiller, gegen Gewalt an Kindern und Jugendlichen einsetzen will. Sie schätzt es auch, in Interviews über Themen wie Gender Studies oder die schulischen Blockzeiten befragt zu werden, die ihr als berufstätiger Mutter ein besonderes Anliegen sind.

Auf den ersten Blick wirkt sie mädchenhaft, filigran. Aber Carolina Müller-Möhl strahlt Ernsthaftigkeit aus, wie sie ungeschminkt dasitzt. Dass viele nach dem Tod von Ernst Müller-Möhl glaubten, sie könnten «das Meitli» locker über den Tisch ziehen, überrascht nicht. Doch sie erwies sich als eigenwillige, selbstbewusste Business-Frau.

Carolina Müller-Möhl, geboren in Zürich, stammt aus einem Elternhaus, in dem Werte wie Verantwortungsgefühl, Unabhängigkeit, Pflichtbewusstsein und Leistung hochgehalten wurden. Ihre Mutter ist Psychologin, ihr Vater Psychiater. Sein Credo, wonach Menschen im Verlauf ihres Lebens Jugend, Schönheit, oft auch Reichtum einbüssen, und dass einzig Bildung und Wissen Bestand haben, hat sie nachhaltig geprägt. Sie ist stolz darauf, dass sie während zehn Jahren im Ausland studierte, zuerst im Internat Salem am Bodensee, dann an den Universitäten in Heidelberg und Berlin, später in London. In New York war die Politologin kurze Zeit für die Uno tätig. Zurück in der Schweiz arbeitete sie während dreier Monate am Zeitschriftenprojekt «Reflexe» des Ringier-Verlags mit, das allerdings noch vor Erscheinen des ersten Hefts eingestellt wurde. Zwei Jahre war sie in einem Unternehmen der Telekommunikation beschäftigt. Dann heiratete sie, bekam ihren Sohn Elias und begann, an einer Dissertation zu schreiben. Ihr Drang nach Eigenständigkeit war offensichtlich nach wie vor ungebrochen, auch wenn böse Zungen behaupten, ihr Mann Ernst habe ihr sogar vorgeschrieben, was sie anzuziehen habe.

Allein mit 800 Millionen

Am 3. Mai 2000 stürzte Ernst Müller-Möhl in seinem Flugzeug im Gotthard-Gebiet ab, und seine damals 32-jährige Witwe stand mit einem Kleinkind und einem konservativ geschätzten Vermögen von 800 Millionen Franken allein da. Impulsiv wie sie ist, eröffnete sie den Geschäftspartnern ihres Mannes noch am Abend seines Todes, dass sie die Verantwortung übernehmen und an der Fortsetzung seines Werks mitarbeiten wolle. Der Corporate-Finance-Spezialist Chris Tanner war einer von ihnen. «Frau Müller-Möhl trat sehr gefasst, klar und überzeugend auf», sagt er, «sie wusste, dass es ihr an Erfahrung fehlte. Um so wichtiger war es ihr, sich die Unterstützung von den bestmöglichen Fachleuten zu holen.»

Dabei bewies sie eine glückliche Hand. Sie gewann den renommierten Juristen Felix R. Ehrat und den erfahrenen Wirtschaftsführer Ulrich Bremi für den Verwaltungsrat der von ihr gegründeten Müller-Möhl-Group. Uli Sigg, einst Schweizer Botschafter in China, dann professioneller Verwaltungsrat, stand ihr von Anfang an als Berater in Finanzfragen zur Verfügung. Dem Medienprofi Karl Lüönd erteilte sie den Auftrag, eine Biografie ihres Mannes zu schreiben. Im Zuge seiner Recherchen wurde Lüönd bewusst, dass Müller-Möhl «fast nichts Schriftliches und damit eine schwierige Quellenlage hinterlassen hatte». Er habe fast ausschliesslich per Handy und E-Mail kommuniziert und seine Termine meist ohne Sekretärin verwaltet: «Müller-Möhl hatte sein ganzes Geschäft im Kopf.»

Das machte es seiner Witwe doppelt schwer, sich einen Überblick über das weit verzweigte Finanzimperium zu verschaffen. Doch Carolina Müller-Möhl ist hartnäckig drangeblieben, auch wenn die letzten vier Jahre sie Nerven gekostet haben. Sie betreibt Learning by Doing, liest sich durch Berge von Fachliteratur und stellt ungeniert Fragen, wenn ihr das Votum eines Verwaltungsrats oder ihres CEOs Beat Näf nicht einleuchtet. Felix R. Ehrat sagt: «Als VR-Präsidentin übernimmt sie klar die Führung, ist zielorientiert, aber nicht stur, und eröffnet damit Raum für Diskussionen.» Aktiv sei sie und stets gut vorbereitet, sagt auch Robert Riedweg, der Delegierte der Medica Holding, wo CMM als Verwaltungsrätin amtiert, ausserdem kritisch und um eine klare Stellungnahme nicht verlegen.

Rechtzeitig hat sie sich von ihren Beteiligungen an der BZ-Bank und der A & A Actienbank getrennt. Mit Ascom hat sie gemäss Branchenschätzungen in der Folge des Börseneinbruchs zwar 400 bis 500 Millionen Franken an Buchwert verloren, doch befindet sich das Unternehmen seit einem Jahr wieder deutlich im Aufwärtstrend. Auch bei Medica, dem Anbieter von Medizinal-Technologie, und bei der in Marketing und Distribution tätigen Diethelm-Keller-Siber-Hegner-Gruppe verläuft die Entwicklung viel versprechend.

Als "Leichtgewicht" im Néstle-VR?

Zu guter Letzt kam auch noch die Anfrage von Nestlé, ob sie bereit wäre, im Verwaltungsrat des Weltkonzerns Einsitz zu nehmen. Dieser Zug fahre nur einmal vorbei, sagte ein Kollege zu ihr. Kurzentschlossen griff sie zu. Die Nachricht verbreitete sich in Wirtschafts- und Finanzkreisen wie ein Lauffeuer und erregt die Gemüter nach wie vor. Von «Skandal» ist die Rede. Einige Neider fragten sich empört, was die Herren Brabeck und Gut wohl bewogen haben mag, einem «Leichtgewicht» wie CMM das Vertrauen zu schenken.

Schonungslos urteilt etwa Frank Henkel, Geschäftsführer der Zürcher Beratungsfirma VR-Pool: «Erstens: Carolina Müller-Möhl repräsentiert die Macht eines beträchtlichen Kapitals. Zweitens: Sie ist die Nachfolgerin von Vreni Spoerry und damit zweifellos eine Quoten- beziehungsweise Alibifrau. Drittens: Sie sieht gut aus. Und viertens: Sie wirkt brav und angepasst und wird den Gang des männlichen Gremiums nicht stören.» Kollege Björn Johansson hält dagegen: «Nestlé hat einen mutigen und richtigen Entscheid gefällt. Carolina Müller-Möhl ist weltoffen, sprachbegabt und intelligent, und sie repräsentiert Unternehmertum, das sie sich in den letzten vier Jahren erworben hat.»

Die Selbstverständlichkeit mutet ungewohnt an, mit der die junge Frau diesen hoch dotierten Job in einem der begehrtesten Verwaltungsräte des Landes annimmt. Sie sendet das Signal aus: Jawohl, das traue ich mir zu. Mag sein, dass die Schuhe, die sie sich anzieht, tatsächlich noch ein, zwei Nummern zu gross ausgefallen sind. Aber warum soll sie nicht mit der Aufgabe wachsen wie manche Männer vor und neben ihr? Diszipliniert wie sie ist, liest sie sich schon jetzt in die neue Materie ein. Auf ihrem Pult liegen Unterlagen, Broschüren und Bücher zu Themen wie Globalisierung und Corporate Governance. Vielleicht wird Carolina Müller-Möhl bloss eine mittelmässige Verwaltungsrätin. Hierbei würden ihr manche männlichen Amtsinhaber beste Gesellschaft leisten. Aber auch wer voraussieht, dass sie einen guten, gar hervorragenden Job machen wird, lässt sich nicht allzu weit auf die Äste hinaus.

Das Gespräch nähert sich seinem Ende. Carolina Müller-Möhl will nach Hause, ein Corona-Bier trinken, mit ihrem Sohn einen Salat essen, ein wenig Fernsehen oder in einem Roman lesen, was man halt so macht an einem Montagabend. Zum Abschied legt sie ein kopiertes Papier auf den Tisch, das Vorwort aus Alice Schwarzers neuem Buch über weibliche Vorbilder und Idole: «Traditionell gibt es ein regelrechtes Verbot für Frauen, sich als Vorbild zu begreifen und zu vermitteln. Denn das hiesse ja, dass eine Frau sich selber ernst nimmt. Das hiesse, dass sie der Auffassung ist, sie habe Beispielhaftes geleistet. (...) Kurzum, es hiesse, dass sie sich erkühnt, aus der ersten Reihe vorzutreten - statt sich in der zweiten zu verstecken.»

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© Barbara Lukesch