Geben Sie doch nicht so an, Sie!

Neid auf der Chefetage / 8. September 2005, "Facts"

Symbolbild zum Thema Karriere

Was, neidisch? Ich doch nicht, sagen viele Konzernchefs - und ärgern sich grün und blau, wenn der von der Konkurrenz mehr hat.

Novartis-Chef Daniel Vasella steht über den Dingen: «Neid? Dieses Gefühl kenne ich nicht.» Ebenso deutlich markiert Sat-1-Geschäftsführer Roger Schawinski Distanz: «Ich beneide niemanden, ich bedaure niemanden, ich bin ich.» Eigentlich beneidenswert, diese Abgeklärtheit.

Und was konstatiert Fredy Isler, Kadervermittler von Spencer Stewart? «Der Neid in Unternehmen ist grenzenlos.» Der deutsche Management-Forscher und Unternehmensberater Richard K. Streich sieht es nicht anders. Neid treibe 20 Prozent aller Angestellten um, Kader inbegriffen, zitiert Streich die Ergebnisse einer Studie zum Thema Arbeitszufriedenheit. Die firmeninternen Intrigen, unter denen weitere 30 Prozent zu leiden angaben, stehen laut Streich «fast immer mit Neid in direkter Verbindung». Jene 30 Prozent schliesslich, die sich «nur» von der «Faulheit eines Kollegen» beeinträchtigt fühlen, seien im Grunde neidisch auf jene, die es sich offenbar erlauben können, eine ruhige Kugel zu schieben. Streich sieht deshalb im Neid ein Phänomen, «das grossen betriebswirtschaftlichen Schaden anrichtet und dringend untersucht werden müsste».

Neid muss verdrängt werden

Nur: Wie soll man etwas untersuchen, was mehrheitlich verdrängt wird? Die Posse um Jürg Marquards Sendung «Traumjob» war ein Fall fürs Lehrbuch. Die halbe Schweiz mokierte sich über den Medienunternehmer und warf ihm Protzerei vor. Wahrscheinlicher ist, dass Marquard von vielen heiss beneidet wurde - für seine prunkvolle Villa, seinen Bentley, den Butler, die schöne Lebensabschnittspartnerin und vor allem die Ungeniertheit, mit der er seinen Besitz in aller Öffentlichkeit zelebrierte. Das sei unschweizerisch, mokierte sich Fernseh-Ombudsmann Otto Schoch.

Doch Neid muss verdrängt werden, weil er als niedere Regung gilt. Neid ist das Gefühl der Habenichtse und Zu-kurz-Gekommenen, der Spiesser und Ungebildeten. Es zählt zur Gattung der «Frustrationsaggressionen». Wer mit dem Gift infiziert ist, soll nach dem Volksmund grün oder gelb davon werden, wahrlich kein erstrebenswerter Zustand. Dabei ist Neid eigentlich ein logischer Bestandteil unserer Wettbewerbsgesellschaft. Sätze wie «Konkurrenz beflügelt uns» gehören zum Standardrepertoire eines Managers.

Und dennoch ist die Missgunst gegenüber diesen Mitstreitern gross, besonders wenn sie direkt vergleichbar sind. Roche gegen Novartis, UBS gegen CS, Migros gegen Coop. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Chefs der beiden Detailhandelsriesen es möglichst vermeiden, am selben Anlass aufzutreten. Coop-Chef Hansueli Loosli sass der Migros-Spitze lange Zeit als giftiger Stachel im Fleisch. Mit dem Charme des hemdsärmligen Managers eilte er von Erfolg zu Erfolg. Die eher blassen Migros-Chefs fielen dagegen ab. Nun hat der Wind gedreht. Loosli kämpft mit Problemen. Am Zürcher Limmatplatz sieht mans nicht ohne Schadenfreude und lässt im kleinen Kreis nicht ungern eine Bemerkung fallen wie: «Loosli hat auch schon bessere Zeiten gesehen.» Von Ex-Kuoni-Chef Hans Lerch und dem früheren Hotelplan-Chef Claus Niederer war bekannt, dass sie kaum ein Wort miteinander wechselten.

Rankings sind des Teufels

Neid entzündet sich auch ganz besonders an den weit verbreiteten Rankings. Dank dieser Ranglisten wird auf einen Blick ersichtlich, wer der Beste ist. So wird das Top-Management hier zu Lande mit Argusaugen verfolgt haben, dass «Business Week» Novartis-Boss Vasella 2001 als einzigen Schweizer unter die 25 weltbesten Manager einreihte. Ebenso aufmerksam dürfte die Szene dann allerdings auch notiert haben, dass das Konkurrenzblatt «Fortune» Vasella im Jahr 2005 nur noch auf Platz 19 auf der Liste der meistverdienenden Konzernchefs Europas setzte, nachdem er im Jahr zuvor noch den Spitzenplatz eingenommen hatte.

Wie sensibel Klassierungen zur Kenntnis genommen werden, illustriert das Beispiel eines deutschen Industriemanagers, der von den Händlern seiner Branche zur Nummer eins erkoren wurde. Dummerweise überflügelte er damit zwei seiner Vorgesetzten, die im Ranking - für alle in der Firma ersichtlich - abgeschlagen auf den Plätzen sieben und neun landeten. Die Auszeichnung geriet für den Gewinner zum Bumerang und gefährdete laut Unternehmensberater Streich «die Karriere des Mannes ernsthaft».

Gross ist der Neidfaktor immer auch dann, wenn die Besetzung exklusiver Gremien ansteht. Ein Sitz im Nestlé-Verwaltungsrat? Ein Ritterschlag. Unternehmerin Carolina Müller-Möhl hats dahin geschafft - und stösst damit viele Männer vor den Kopf. Kaum ein Manager, der nicht gern über die attraktive Investorin frotzelt und mutmasst, dass die Dame überschätzt werde.

Selbst Walter Bosch, Verwaltungsrat der Swiss, wird immer mal wieder attackiert, obwohl ein Sitz im Führungsgremium der Airline nun wirklich kein Glamour-Potenzial mehr hat. In Phasen, als er häufig in den Medien auftrat, wurde er mit anonymen Briefen und Hassmails überzogen. Die Absender bezeichnen ihn gerne als «totalen Versager», sprechen ihm jede Qualifikation ab und wünschen ihm im besten Fall, «dass Sie bald von Ihrem hohen Ross herunterfallen».

Saläre als Neidtreiber

Dass selbst Menschen, die es bis an die Spitze einer Firma geschafft haben, keineswegs frei von Neid sind, zeigt die Debatte um die Offenlegung der Managerlöhne. Diverse Studien belegen, dass das Wissen um die Gehälter der Konkurrenten nicht etwa die Abzockerei eindämmt und zur Mässigung der eigenen Lohnansprüche führt, sondern den Neid schürt und die Gehaltsspirale immer schneller drehen lässt. «Das Salär ist zentral, weil es für Spitzenkräfte nur noch diese Form des messbaren Leistungsvergleichs unter ihresgleichen gibt», erklärt Streich. Man darf folglich davon ausgehen, dass Daniel Vasella mit 20,8 Millionen Franken «Kompensation» bei Novartis neidisch auf Marcel Ospel von UBS mit seinen 21,3 Millionen schielt. Für diesen wiederum dürfte Oswald Grübel, Credit Suisse, mit geschätzten 23 Millionen Jahressalär das Mass aller Dinge sein.

Dabei zielen Neider gar nicht in erster Linie auf den Besitz oder das Vermögen des missgünstig beäugten Gegenübers ab. Sie haben ja selber genug. Wichtiger ist ihnen, dass der andere nicht mehr hat. Was, rein theoretisch, auch dann der Fall wäre, wenn der andere weniger verdiente oder sein Vermögen einbüssen würde. In einem Witz wird diese absurde Logik auf die Spitze getrieben: Zwei Händler, einer einäugig und beide zersetzt vom Neid, bekriegen sich seit Jahren. Jesus will schlichten und sagt, er erfülle jedem einen Wunsch, der allerdings auch dem anderen zugute komme, und zwar in doppelter Menge. Worauf der Einäugige fleht: «Herr, nimm mir mein Auge!»

Gerade in Krisenzeiten boomt das eklige Gefühl stark: Wenn Knappheit an finanziellen und personellen Ressourcen herrscht, gibt es weniger zu verteilen. Zu den kritischsten Neidzonen unserer Informationsgesellschaft gehört die öffentliche Präsenz. Wer war letzte Woche am Fernsehen in der Sendung «Arena», wer durfte in den «Zischtigs-Club» oder nur schon zu Tele Züri ins «Talktäglich»?, sind Fragen, die selbst Spitzenkräfte bewegen. Offen zugeben würde das zwar niemand, sagt ein Vertreter eines Grosskonzerns, der nicht genannt werden will, aber wehe, wenn es wieder einmal ein Kollege auf den Bildschirm geschafft hat. Sollte der selbstbewusste Sankt-Galler Management-Professor Fredmund Malik tatsächlich in die Talkshow von Sabine Christiansen geladen werden, wie gemunkelt wird, käme es zu einer Neidexplosion. Ein Platz in der stets hochkarätigen ARD-Runde gilt als höhere Weihe.

Namensnennung als Ärgernis

Die 150 geladenen Gäste, die heuer Roger Schawinskis sechzigsten Geburtstag feierten, durften sich zunächst gebauchpinselt fühlen: «Welche Ehre! Ich bin dabei.» Als der Jubilar dann zu einer launigen Rede anhob und einige der Anwesenden namentlich erwähnte, wechselte die Gesichtsfarbe bei etlichen Übergangenen in den grünen Bereich. Wobei anzumerken ist, dass die namentliche Erwähnung in grösserer Runde zwar dem eigenen Ego gut tut, öfter aber teuer bezahlt werden muss. Headhunter Fredy Isler hat diese Erfahrung jüngst gemacht, als ihm im Rahmen eines hochkarätig besetzten Treffens der Präsident des Verwaltungsrats eines grossen Unternehmens ausdrücklich dafür dankte, dass er den überaus erfolgreichen Konzernchef der Firma rekrutiert hatte. Beim anschliessenden Apéro habe er den Neid einiger Anwesender «körperlich zu spüren bekommen», sagt Isler.

In Sachen Neid ticken Männer und Frauen anders. Männer beneiden sich gegenseitig um Statussymbole wie attraktive, grossräumige Büros, Kunstsammlungen, Autos, Villen, Motorboote, Segeljachten und gut bestückte Weinkeller. Gemäss Walter Bosch stellt der «Dienstwagen mit Chauffeur» derzeit das Nonplusultra an Luxus dar und heizt die Neidproduktion ganz besonders an. Seit sich Daniel Vasella im Lederkombi als Motorradfan geoutet hat und Peter Brabeck mit Harley-Davidson und Ehefrau in Leder nachzog, wissen wir, was selbst den Neid der Grossen anstacheln kann: das höhere Quantum an Machismo. Headhunter Isler jedenfalls ist überzeugt, dass Brabeck vor allem der Neid ritt, als er seinen grossen Töff vor die Kamera des Fotografen schob.

Frauen fechten auf einer andern Ebene. Eine ehemalige Schweizer Topmanagerin sagt, sie habe über Jahre hinweg «die typisch weibliche Form der Neidabfuhr erlebt, nämlich «Stutenbissigkeit». Sie sei von Frauen regelmässig mit dem Ausruf bedacht worden: «Dass du dir das zutraust!» Erst mit der Zeit habe sie die untergründige Botschaft ihrer Geschlechtsgenossinnen verstanden: «Ich hege Zweifel an deinen Fähigkeiten und könnte es besser, wenn man mich nur liesse.»

Wenn Sonnenkinder straucheln

Zu rekordhohen Ausschlägen auf der Gefühlsamplitude kommt es, wenn so genannte Sonnenkinder straucheln. Beneidete Persönlichkeiten also, die alles hatten: eine tolle Karriere, rhetorische Brillanz, Charme, attraktives Aussehen und Glamour. Als Credit-Suisse-Chef Lukas Mühlemann über sein Swissair-Mandat stolperte und später die SP-Politikerin Anita Fetz wegen Pro Facile und Dieter Behring ins politische Abseits geriet, ergoss sich jede Menge Häme über die Shootingstars. Viele hofften auch auf einen Absturz, als Roger Schawinski die Herausforderung bei Sat 1 annahm. Es brachte sie in Rage, dass der knapp Sechzigjährige immer noch keine Ruhe gab, erneut einen Spitzenjob antrat und dann noch im grossen Deutschland. Die verfrühte Schadenfreude verwandelte sich zurück in Neid, als Schawinski von den wahrlich nicht zimperlichen deutschen Medien in den höchsten Tönen gelobt wurde.

Die Taktik, ein Neidobjekt totzuschweigen, ist durchaus beliebt. Der Hamburger Aggressionsforscher Jens Weidner erlebt das jeweils, wenn er ein neues Buch herausgibt: «Die meisten meiner Kollegen sagen keinen Ton dazu; nur wer selber publiziert, lässt vielleicht eine lobende Erwähnung fallen.»

Im angelsächsischen Raum, insbesondere in den USA, soll es den Menschen ja bekanntlich gelingen, mit dem ungeliebten Gefühl wesentlich souveräner umzugehen. Alberto Godenzi, Schweizer Sozialwissenschaftler und seit vier Jahren Dekan an der Fakultät Sozialarbeit am Boston College in Massachusetts, relativiert: «Auch die Amerikaner sind keineswegs frei von Neid.» Was aber tatsächlich auffalle, sei ihre Ungeniertheit im Präsentieren von Reichtum und Besitz. Die Schweizer hingegen, ganz dem Gebot des Understatements verpflichtet, stellten ihr Licht lieber unter den Scheffel und vermieden damit, Angriffsflächen für Neider zu bieten.

Dabei kann Neid auch Kräfte freisetzen. Statt grün oder gelb zu werden, könnte man einfach selber Gas geben und Leistung zeigen. Der 32-jährige britische Unternehmer und Buchautor Marc Lewis ist ein Anhänger dieses Denkens. Seine Devise lautet: «Du sollst begehren deines Konkurrenten Marktanteil! Sei hemmungslos neidisch!»

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© Barbara Lukesch