Zur Sache, Chefin!

Lust am Entscheiden / 28. Februar 2007, "Annabelle"

Symbolbild zum Thema Karriere

Vom beruflichen Aufstieg träumen viele junge Frauen. Wie aber ist es, wenn es tatsächlich klappt? annabelle sprach mit den vier Chefinnen Cornelia Gämperle, Alessandra Aegerter, Sibylle Lichtsteiger und Toni Burgos über ihren ersten Führungsjob, Fallstricke, Rollenwechsel und die Lust am Entscheiden. Das Interview führten Barbara Lukesch und Barbara Klingbacher.

Sie haben alle bereits einige Erfahrungen in Ihrem neuen Führungsjob gesammelt. Was hätten Sie gern vor Ihrem Aufstieg gewusst?

Cornelia Gemperle: Ich habe unterschätzt, welchen zeitlichen Aufwand ich brauche, um das Personal zu führen. Bei fünfzig Leuten tauchen immer wieder Probleme auf, die besprochen werden müssen, und zwar sofort. Das hält mich natürlich vom Arbeiten ab.

Zählen Sie denn diese Gespräche nicht zu Ihrer Arbeit?

Gemperle: Doch. Selbstverständlich. Aber sie sind zeitintensiv und brauchen meine volle Aufmerksamkeit.

Alessandra Aegerter: Man hat immer tausend Sachen, die gleichzeitig erledigt werden sollten.

Sibylle Lichtensteiger: Das kenne ich gut. Bei mir geraten der eigentliche Führungsjob, also Personal, Budget, Strukturelles, und die kreative Arbeit an unseren Ausstellungen immer wieder in Konflikt. Der Führungsjob beansprucht viel mehr Zeit, als ich erwartet hatte. Dazu ist er unberechenbarer. Ich kann zwar morgens eine To-do-Liste schreiben – aber es kommt immer wieder etwas Unvorhergesehenes dazwischen.

Toni Burgos: Ich tue mich schwerer als erwartet damit, Aufgaben zu delegieren. Daran muss ich arbeiten. Einerseits, um mich zu entlasten, zum anderen, um meine Mitarbeiterin nicht zu demotivieren.

Welches war Ihre Motivation, eine Führungsposition zu übernehmen?

Lichtensteiger: Ich hatte vier Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Stapferhaus gearbeitet und war dazu als Redaktorin bei Radio DRS angestellt. Als ich Mutter wurde, musste und wollte ich mich beruflich endlich für eine Sache entscheiden. Ein Jahr später kündigte mein Vorgesetzter im Stapferhaus. Und so bewarb ich mich zusammen mit Beat Hächler, einem langjährigen Arbeitskollegen, um die Koleitung. Hätten wir die Stelle nicht bekommen, wäre ich wahrscheinlich gegangen. Ich hätte befürchtet, unter einem neuen Vorgesetzten nicht mehr die gleiche inhaltliche und künstlerische Freiheit zu haben.

Burgos: Ich wollte Verantwortung übernehmen und mich auf dem Weg selbst verwirklichen. Ich war erst anderthalb Jahre im Controlling von ABB tätig, als meine Vorgesetzte kündigte und mich in das Dilemma brachte: Entweder bewerbe ich mich nach – zugegeben – sehr kurzer Zeit um ihre Nachfolge oder lasse mir jemand Externen vor die Nase setzen.

Sie hatten also Lust aufs Gestalten bekommen und den Wunsch, mehr Einfluss auszuüben.

Burgos: Genau. Das war meine Motivation.

Wollten Sie auch Macht ausüben?

Burgos: Macht finde ich ein zu extremes Wort.

Aegerter: Macht kann ja etwas Positives sein und die Möglichkeit zur Mitgestaltung bedeuten. Dieser Wunsch hat mich ganz stark motiviert. Ich bin eine, die eh überall ihren Kommentar dazugibt. Als bei uns im Wohnhaus für Menschen mit Behinderung eine Restrukturierung nötig war, die zu einer zusätzlichen Hierarchiestufe führte, war ich acht Jahre im Betrieb und reif für eine neue Herausforderung. So habe ich mich um diese neu geschaffene Stelle beworben und wurde dabei auch von meiner Chefin und meinem Chef unterstützt.

Gemperle: Ich war bereits 38, als das Stellenangebot als Abteilungsleiterin Städte- und Schiffsreisen kam. Abgesehen davon, dass ich Lust auf eine Veränderung hatte, war mir klar: Eine solche Chance kriegst du möglicherweise kein zweites Mal.

Waren der höhere Lohn oder ein höherer Status ein Anreiz?

Gemperle: Der Status ist mir persönlich völlig egal. Die Lohnerhöhung ist ein schöner Nebeneffekt, wobei sie in der Reisebranche, die ja bekanntlich nicht besonders gut zahlt, im möglichen Rahmen ausgefallen ist.

Burgos: Bei mir war es vor allem das Neue, das mich gereizt hat, die Möglichkeit, bei Kadergesprächen dabei zu sein und der Geschäftsleitung Grundlagen für ihre Entscheidungen zu liefern.

Aegerter: Die minime Lohnerhöhung bot keinen Anreiz. Ich hatte auch lange Zeit das Gefühl, dass mir der Gewinn an Prestige nichts bedeutet. Aber gerade kürzlich habe ich wieder einmal an der Basis gearbeitet und hatte direkt mit den Bewohnern unseres Heims zu tun. Da kam eine Frau zu mir und sprach mich ständig mit «Chefin» an: «Chefin, wie geht es dir? Chefin, darf ich dir einen Kaffee machen?» Und ich realisierte, dass mir diese Anrede gut tut und gefällt.

Offenbar hat keine von Ihnen eine gezielte Laufbahnplanung vorgenommen. Es wirkt, als habe sich dieser erste Karriereschritt mehr zufällig ergeben.

Lichtensteiger: Bei mir war das so. Ich wusste zwar immer sehr genau, dass ich in den Bereichen Ausstellung bezie-hungsweise Medien arbeiten möchte. Und habe mir meine Stellen entsprechend ausgesucht. Aber eine Führungsfunktion habe ich damals noch nicht gezielt angepeilt.

Gemperle: Auch ich habe diese leitende Aufgabe nicht unbedingt angestrebt. In Jahresgesprächen bin ich zwar wiederholt gefragt worden, ob ich nicht einen Karriereschritt machen wolle, ich hätte das Potenzial dazu. Aber ich habe immer wieder abgelehnt, obwohl ich viel und gern arbeite. Damals war ich noch nicht bereit für eine solche Aufgabe.

Aegerter: Wenn ich die Stelle der Abteilungsleiterin in der Stiftung Brändi nicht bekommen hätte, hätte ich wohl gekündigt und meine Karriereplanung von dem Moment an bewusster an die Hand genommen. Ich war anderthalb Jahre vorher als Sozialpädagogin diplomiert worden und wollte tatsächlich einen neuen Schritt wagen.

Hat denn jemand von Ihnen eine Führungsausbildung durchlaufen?

Lichtensteiger: Mein Koleiter und ich haben uns im Anstellungsvertrag ein Führungscoaching ausbedungen. Das ist sehr nützlich.

Burgos: Bei ABB muss man eigentlich zwei Monate vor Antritt einer leitenden Position das «Entwicklungsprogramm Führungskräfte» besuchen. Dabei geht es um Kommunikation, das Unternehmensleitbild und die ersten hundert Tage als Vorgesetzte. Ich habe dieses Programm aber erst nach meinen ersten zweihundert Tagen absolviert. Ein Jahr nach Stellenantritt folgt dann ein zweiter Block.

Welche Befürchtungen hatten Sie, bevor Sie Ihre neue Stelle angetreten haben?

Burgos: Ich hatte grossen Respekt vor der Doppelbelastung. Zum einen musste ich mich in meinen neuen Job einarbeiten, und gleichzeitig musste ich die Person, die mich ersetzt hat, einführen. Das waren sehr anstrengende zwei, drei Monate, in denen ich wirklich am Anschlag war.

Lichtensteiger: Für mich war es toll, dass ich einen Kollegen an meiner Seite wusste, mit dem ich schon vorher sehr gut zusammengearbeitet hatte. So war ich sehr optimistisch. Natürlich habe ich mir viele Gedanken gemacht, wie ich die für mich neuen Aufgaben wie die anstehende Restrukturierung des Stapferhauses in Angriff nehmen sollte. Aber ich war sehr zuversichtlich, dass wir das zu zweit schaffen würden.

Aegerter: Bei mir war die urweibliche Angst da: Schaffe ich das? Bin ich diesem neuen Job überhaupt gewachsen? Eigentlich war mir klar, dass ich die zusätzlichen Aufgaben bewältigen werde, und trotzdem tauchte diese Grundangst immer wieder auf. Zusätzlich machte ich mir Gedanken, ob ich von meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen als deren Chefin akzeptiert würde. Auch noch zwei, drei Monate nach Stellenantritt, als ich den Beweis längst hatte, dass mein Team mich voll akzeptierte, kam dieses Gefühl immer wieder.

Gemperle: Das war auch meine Frage: Wie komme ich als Chefin an? Einerseits bei den ehemaligen Kollegen, dann aber auch beim neuen Team. Wie werde ich dort aufgenommen?

Die meisten von Ihnen wurden von der Kollegin zur Chefin. War der Rollenwechsel schwierig?

Lichtensteiger: Bei der Bewerbung war mir dieser Rollenwechsel noch nicht so bewusst. Inzwischen ist mir aber klar, dass ich tatsächlich eine neue Rolle habe und diese auch nicht mehr abstreifen kann. Ich kann eine Mitarbeiterin fragen, wie es ihr oder den Kindern daheim geht, das kann sehr persönlich sein. Sobald ich aber ein Feedback auf ihre Arbeit gebe, bin ich die Chefin.

Aegerter: Ich hatte Angst, dass ich künftig nichts mehr Privates erzählen darf. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass ich dann gar nicht mehr authentisch wäre. Etwas hat sich jedoch definitiv verändert: Früher war ich eine der bestinformierten Personen, die intensiv in der Gerüchteküche mitgemischt hat. Heute dringen Gerüchte, die im Haus kursieren, nicht mehr bis zu mir durch.

Also hat sich das Verhalten Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verändert?

Gemperle: Genau. Ich glaube jedenfalls nicht, dass ich mich verändert habe. Dass Interna und Klatsch nicht mehr bis zu mir kommen, hat vermutlich auch damit zu tun, dass ich jetzt ein Einzelbüro habe und kaum noch Zeit finde, mit den anderen einen Kaffee zu trinken und zu plaudern. Und die Mitarbeiter, die mich nicht von früher als Kollegin kennen, trauen sich eher nicht in mein Büro, um auch mal einfach so etwas Privates zu erzählen. Für die, so scheint es mir, bin ich «nur» die Chefin, die keine Zeit hat, um auch mal ein Spässchen zu machen.

Lichtensteiger: Ich finde es allerdings auch entlastend, dass ich nicht alle Interna und Beziehungsgeschichten, die zwischen den Einzelnen laufen, mitbekomme. Schliesslich bin ich als Chefin für den gesamten Betrieb verantwortlich und muss mich auch abgrenzen können.

Führen Sie als Frau anders?

Aegerter: Am Anfang hatte ich den Anspruch, als Frau ganz besonders partizipativ und antiautoritär zu führen. Ich wollte die liebe Chefin sein und alle gleich behandeln. Damit bin ich in der Realität allerdings schnell auf die Nase gefallen. Manchmal muss ich einfach durchgreifen und entscheiden: Das will ich so. Schluss. Aus. Keine Diskussion. Manchmal kann sich das Team bei einer Diskussion aber auch durchsetzen, obwohl ich nicht ganz einverstanden bin. Das Ideal von der Gleichbehandlung musste ich ebenfalls über Bord werfen. Heute weiss ich: Die eine Mitarbeiterin kann ich an der langen Leine lassen, die andere muss ich eng führen, sonst geht es schief.

Gemperle: Ich musste lernen, dass es notwendig ist, meinen Leuten gewisse Leitplanken zu geben. Jeder Mitarbeiter will anders geführt sein. Gleichzeitig lege ich aber auch viel Wert darauf, sie gut zu informieren und mit ihnen so intensiv zu kommunizieren, dass sie stets wissen, welche Projekte anstehen und was sonst im Unternehmen läuft.

Burgos: Die Frage, welchen Führungsstil ich anwenden möchte, habe ich mir erst einige Monate nach der Übernahme der neuen Aufgabe gestellt. Da wurde mir klar, dass ich vor allem eine Ansprechperson für meine Mitarbeiterin sein möchte, eine Lehrerin auch und natürlich ein Vorbild.

Welchen Preis zahlen Sie für die Übernahme Ihres Führungsjobs?

Gemperle: Meine Arbeitstage sind oft sehr lang, bis zu 16 Stunden. Dazu kommt oft noch der Samstag, und die Freizeit bleibt eher knapp. Mein Freund hat momentan noch Verständnis, aber ich kann mir vorstellen, dass er das auf die Dauer nicht mitmachen will.

Burgos: Ich habe mehr Mühe, abends abzuschalten, und schlafe auch schlechter als früher. Weil ich zurzeit an den Wochenenden noch an einer Weiterbildung bin, macht mein Mann den Haushalt praktisch allein.

Lichtensteiger: Zwei Jahre nach der Übernahme des Jobs kam meine zweite Tochter zur Welt, und ich bin sehr früh wieder arbeiten gegangen. Das entsprach zwar meinem Bedürfnis, aber gleichzeitig wäre ich auch gern als gute Mutter länger bei meinem Baby geblieben. Das liess sich nicht vereinbaren.

Und was ist das Schöne am Chefin-Sein?

Burgos: Der Job ist spannender geworden. Und ich bin selbstbewusster. Im ersten halben Jahr war ich immer nervös, wenn ich etwas zum ersten Mal gemacht habe: meinen ersten Budgetprozess leiten, den ersten Jahresabschluss vorlegen. Da dachte ich jedes Mal: Jetzt kommt heraus, dass ich dem Job eben doch nicht gewachsen bin. Aber wenn ich die Hürde genommen hatte, sagte ich mir: Denk das nächste Mal dran, dass du es das letzte Mal auch geschafft hast.

Aegerter: Ich kann mitgestalten. Es würde mich nämlich überhaupt nicht glücklich machen, immer nur Anordnungen von oben ausführen zu müssen. Gerade kürzlich an einer Sitzung habe ich gesagt: «Mir läuft es momentan wirklich gut, ich habe alles erledigt.» Ich bin zielstrebiger geworden und denke zurzeit über eine Weiterbildung im Bereich Führung nach. Einen weiteren Karriereschritt schliesse ich nicht aus.

Lichtensteiger: Ich geniesse es, so viel entscheiden zu können. Es ist ein Traumjob, er ist spannend, kreativ und sehr verantwortungsvoll. Und trotzdem kann ich noch Teilzeit arbeiten. Ich kompensiere dieses Jahr sogar meine Überstunden – mit vier Wochen Ferien am Stück.

Gemperle: Ich mag es ebenfalls, Entscheide zu treffen. Wenn ich eine Idee für unser Produkt habe, sage ich nun: Ja, das machen wir. Und das macht schon Spass.

Sibylle Lichtensteiger (37), Koleiterin Stapferhaus, Ort für Kultur und Begegnung, Lenzburg, stammt aus der Ostschweiz. Nach ihrem Studium der Geschichte und Germanistik in Zürich und Berlin bekleidete sie je eine Halbtagsstelle bei Radio DRS und im Stapferhaus. Seit knapp fünf Jahren ist sie Koleiterin des Stapferhauses mit einem 70-Prozent-Pensum (aktuelle Ausstellung «Glauben»; www.stapferhaus.ch). Sie ist verheiratet, hat eine drei- und eine sechsjährige Tochter und lebt mit ihrer Familie in Zürich.
Alessandra Aegerter (28), Leiterin Finanzen und Controlling ABB Schweiz AG Micafil, Zürich-Altstetten, stammt aus Mannheim, wo sie ein Fachhochschulstudium in Betriebswirtschaft absolvierte. Ihre erste Stelle übernahm sie im Innendienst Verkauf bei ABB Deutschland. 2004 machte sie bei ABB Schweiz ein zweimonatiges Praktikum. Im Anschluss bekam sie einen Job im Controlling. Seit Mai 2006 ist sie Leiterin Finanzen und Controlling bei der ABB Schweiz AG Micafil. Sie führt eine Mitarbeiterin und ist verantwortlich für die Buchhaltung. Seit drei Monaten ist sie verheiratet.
Toni Burgos (40), Abteilungsleiterin Städte- und Schiffsreisen Kuoni, Zürich, wurde in Bern geboren und wuchs in Thun auf. Sie hat einen KV-Abschluss, ihre Lehrzeit absolvierte sie in einem Reisebüro. Vor 15 Jahren hat sie zu Kuoni gewechselt, wo sie im Tour Operating, dem Verkauf und Einkauf gearbeitet hat. Seit anderthalb Jahren ist sie Abteilungsleiterin und führt die beiden Teams Städte- und Schiffsreisen, die aus je 25 Mitarbeitenden bestehen. Sie arbeitet in Zürich und wohnt in Würenlos AG, ist ledig und kinderlos.
Cornelia Gemperle (38), Abteilungsleiterin Stiftung Brändi, Willisau, kommt aus Neuenkirch LU. Sie ist ausgebildete Kindergärtnerin. Seit 1996 arbeitet sie in der Stiftung Brändi, einem Wohnhaus für Menschen mit Behinderung. Während dieser Zeit hat sie die vierjährige berufsbegleitende Ausbildung zur Sozialpädagogin gemacht. Seit Januar 2005 ist sie Abteilungsleiterin und führt sechs Mitarbeitende und zwei Lernende. Sie lebt zusammen mit ihrer Partnerin in einem Bauernhaus in Zell LU.

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© Barbara Lukesch