"Lebensfreude und Unmengen an Energie"

Topmanagerinnen / 11. März 2007, "NZZ am Sonntag"

Symbolbild zum Thema Karriere

Die Basler Soziologiedozentin Elisa Streuli hat sich mit Topmanagerinnen beschäftigt und grosse Unterschiede zwischen Frauen- und Männerkarrieren ausgemacht.

NZZ am Sonntag: Frau Streuli, warum sind Sie nicht Topmanagerin geworden? Sie sind promovierte Soziologin, haben mehrere Jahre in einer Grossbank gearbeitet und kommen aus einem Elternhaus, das bildungs- und leistungsorientiert war - gute Voraussetzungen für eine weibliche Spitzenkarriere.

Elisa Streuli: Im Gegensatz zu den dreizehn von mir porträtierten Frauen war ich lange Zeit sehr systemkritisch eingestellt. Ich habe mich wiederholt gefragt, was die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit grosser Konzerne auf die Dritte Welt sind oder ob zum Beispiel Pharmafirmen wirklich nur daran interessiert sind, den Menschen zu helfen. Wer an die Spitze eines Grossunternehmens will, braucht mindestens einen Grundeinklang mit dem kapitalistischen System.

Was bringen die dreizehn Frauen darüber hinaus mit, das den Weg an die Spitze grosser Konzerne begünstigt hat?

Überschäumende Lebensfreude und Unmengen an Energie, die mich überwältigt haben. Ich hatte mit viel mehr Verbissenheit und Rigidität gerechnet und war überrascht über die positive Ausstrahlung, das hohe Mass an Authentizität und Glaubwürdigkeit.

Damit allein kommt man aber nicht in die Chefetage.

Natürlich braucht es auch eine gute, nicht immer akademische Ausbildung, Sprachkenntnisse und Auslanderfahrungen, dazu eine enorme Selbstdisziplin und die Bereitschaft, Arbeitspensen von 60 Stunden und mehr zu leisten. Die bringen alle Frauen auf, aus Freude, und nicht aus Zwang. Ihre Neugier und ihr echtes, nicht nur strategisches Interesse an anderen Menschen sind starke Motivatoren. Dazu sehen alle einen Sinn in ihrer Arbeit.

Das klingt nach Sonnenkindern.

Es sind einige Sonnenkinder darunter, die aus sogenannt intakten Familien stammen, viele aus Akademikerfamilien, andere aus Familien von selbständigen Handwerkern. Alle haben daheim eine grosse Wertschätzung und ein Grundvertrauen zu spüren bekommen. Ihre Eltern haben ihnen von früh an Grosses zugetraut, was ihr Selbstbewusstsein gestärkt hat.

Man hört häufig, dass Frauen ihren beruflichen Erfolg mit Einsamkeit bezahlen müssen.

Das ist das vorherrschende Bild: die Karrierefrau als alte Jungfer, schrullig und verbiestert. Meine Recherchen haben mich eines anderen belehrt. Die von mir porträtierten Frauen sind mehrheitlich in privaten Umfeldern verankert, die ihren Karriereweg voll und ganz mittragen und ihnen sehr viel Unterstützung gewähren. Sogar bei der Kinderbetreuung können sich die Frauen häufig auf ihre Männer verlassen. Wobei man sagen muss, dass es die vielbeschworene Work- Life-Balance, verstanden als Kombination aus einem Teilzeitpensum und genügend freien Kapazitäten für das Privatleben, nicht gibt. Keine Frau kann ihren Job mit einem 80-Prozent- Pensum bewältigen.

Haben Sie einen Königinnenweg an die Spitze entdeckt?

Den habe ich zu meinem Erstaunen nicht gefunden. Diesbezüglich unterscheiden sich die Frauen klar von ihren männlichen Kollegen. Gerade kürzlich habe ich ein Porträt von einem designierten Chef einer grossen Versicherungsgesellschaft gelesen, dessen Titel lautete: . Es wird beschrieben, mit welcher Zielgerichtetheit dieser Mann seine Karriere vorangetrieben hat: zuerst Assistent des CEO, dann eine Stabsfunktion, als Nächstes eine Linienfunktion, dann ein MBA in den USA. Diese Art von konsequenter strategischer Planung habe ich bei den Frauen viel weniger angetroffen.

Genau darin sehen ja viele auch eine Schwäche von Frauen, die sie am beruflichen Aufstieg hindert.

Die von mir porträtierten Frauen beweisen das Gegenteil. Ich denke, gerade weil sie nicht stur einem vorgezeichneten Weg gefolgt sind, sondern geleitet von echtem Interesse dorthin gegangen sind, wo die Energie sie beflügelt, haben sie Erfolg. Sie gehen mit Augenmass vor, nehmen auch Umwege oder ein Karrieremoratorium in Kauf, wenn sie feststellen, dass sie sich nur selber schaden würden, wenn sie jetzt Druck aufsetzten.

Ist denn Freude an der Arbeit für Männer keine zentrale Triebfeder?

Ich glaube, dass Männer stärker durch äussere Faktoren wie Status, Rang und Geld motiviert werden. Eine sogenannt intrinsische Motivation wie Freude ist für sie sekundär, weil sie überall auf uneingeschränkte Anerkennung stossen, wenn sie einen hochrangigen Posten bekleiden. Frauen hingegen werden mit subtilen Formen der Infragestellung konfrontiert, die sich hinter Sätzen verbirgt wie «Du bist aber ehrgeizig», «Das hättest du doch nicht nötig», «Willst du wirklich auf Kinder verzichten?». Wer es als Frau bis an die Spitze schaffen will, muss stark von innen her motiviert sein, um diesen Weg entschlossen zu Ende zu gehen.

In welchem Masse haben sich die Frauen über geschlechtsspezifische Diskriminierungen beklagt?

In viel geringerem Masse, als ich erwartet hatte. Eine sagte ausdrücklich, sie müsse klar besser sein als ein Mann in einer vergleichbaren Position. Alle anderen meinten, sie müssten einfach gut sein, dann hätten sie die gleichen Chancen wie ein Mann, ja verfügten heutzutage sogar über einen Vorteil, da Frauen sehr gefragt seien. Es ist ihnen durchaus bewusst, dass sie als einzige Frau in einem reinen Männergremium auffallen und dadurch eine spezielle Art von Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Aber auch damit gehen die meisten sehr pragmatisch um und lassen sich davon nicht beeinträchtigen.

Ihre Studierenden hatten genug von der Beschwörung weiblicher Benachteiligung und wollten Erfolgsgeschichten. Elisa Streuli nahm den Appell ernst und schrieb das Buch «Mit Biss und Bravour. - Lebenswege von Topmanagerinnen». Sie porträtiert 13 Managerinnen, darunter Heliane Canepa, CEO Nobel Biocare, Nelly Wenger, damals noch Generaldirektorin Nestlé Schweiz, oder Jennifer Allerton, Director Chief Information Officer bei Roche Pharma. Streuli, 47, ist Turnlehrerin, Analytikprogrammiererin und Soziologin. An der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW arbeitet sie mit einem 70%-Pensum als Dozentin. Sie lebt mit ihrem Partner und ihrer fünfjährigen Tochter in Basel.
Elisa Streuli: Mit Biss und Bravour. - Lebenswege von Topmanagerinnen, Orell-Füssli-Verlag, Zürich 2007.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

© Barbara Lukesch