Alters-WG? Ja, gern

Zusammenleben / 25. Mai 2005, "Annabelle"

Symbolbild zum Thema Alter

Hubert Wagner (40), Architekt und Leiter der Fachstelle Wohnberatung & Wohnungsanpassung bei Pro Senectute Zürich, schlägt vor, im Alter alternative Wohnformen auszuprobieren.

Herr Wagner, 95 Prozent der 65- bis 79-Jährigen leben hier zu Lande in ihrem privaten Haushalt. Das ist eine überraschend grosse Zahl.

Hubert Wagner: Finden Sie? Die meisten von uns legen grossen Wert auf Privatheit und Individualität. Warum fahren denn jeden Morgen Tausende allein mit dem eigenen Auto an den Arbeitsplatz und stehen dabei regelmässig im Stau? Das Auto - und die Wohnung - sind die letzten Bastionen des Privaten. Ausserdem sind die Mietwohnung beziehungsweise das eigene Haus für den Einzelnen häufig kostengünstig, besonders dann, wenn sie schon lange dort wohnen. Und, ganz wichtig: Den Menschen fehlen immer noch neue, attraktive Wohnbilder für ihre späteren Lebensphasen. Sie kennen die Privatwohnung und das Altersheim - und damit hat es sich.

Viele leben aber allein in ihrer «Bastion des Privaten», sind einsam.

Einsam kann man auch in einer betreuten Wohnform sein. Gehen Sie mal über die Mittagszeit in ein Altersheim. Da werden Sie Menschen finden, die während des Essens allein sitzen. Frauen laufen übrigens weniger Gefahr zu vereinsamen als Männer. Diesen fehlen häufig ausserberufliche soziale Netze, die sich Frauen über Jahre, ja, Jahrzehnte aufgebaut haben.

Welche technischen Möglichkeiten gibt es, um all diese Privatwohnungen alterstauglich zu machen?

Das fängt bei kleinsten Eingriffen an. Liegen beispielsweise lose Kabel oder ein rutschiger Teppich am Boden, ist die Gefahr zu stolpern gross. Hat jemand ein wackliges Möbelstück, auf das er sich bisweilen abstützt, sollte das fixiert oder umplatziert werden. Ein wenig mehr Aufwand ist nötig, wenn ein alter Mensch die Hausklingel nicht mehr hört und auf eine Warnleuchte angewiesen ist. Wer nicht mehr allein in seine Badewanne steigen kann, braucht ein Badebrett oder eine Dusche. Stark gehbehinderte Menschen sind mitunter auf einen Treppenlift angewiesen. Kurz: Das Angebot an Hilfen ist enorm, es muss nur individuell abgestimmt werden.

Technische Hilfen sind aber nur das eine ...

... genau, ganz wichtig ist die direkte Wohnumgebung. Stichwort generationenübergreifende Nachbarschaftshilfe. Es tut - nicht nur - einer älteren Frau sehr gut, wenn sie weiss, dass ihre Katze regelmässig gefüttert wird, wenn sie auf Besuch bei ihren Kindern ist. Überhaupt - das ganze Quartier oder die Gemeinde hat natürlich einen grossen Einfluss auf das Wohlbefinden der alten Menschen. Heutzutage verändern sich Bewohnerstrukturen mitunter sehr schnell; alte Menschen, die überdurchschnittlich sesshaft sind, fühlen sich dann in der einst vertrauten Gemeinde plötzlich wie Fremde. Dann sollten sie sich überlegen, ob sie nicht an einem anderen Ort glücklicher sein könnten, der eher ihren Bedürfnissen entspricht.

Rund ein Fünftel der Achtzigjährigen und Älteren lebt in Alters- und Pflegeheimen. Diese Wohnform hat immer noch einen schlechten Ruf. Dabei sind viele dieser Einrichtungen in den letzten Jahren umgebaut und saniert worden.

Heute haben wir tatsächlich immer mehr schön umgestaltete Altersheime, die grössere Gruppenräume haben, Gänge mit Nischen und Rückzugsmöglichkeiten, deren Wände nach innovativen Farbkonzepten gestrichen wurden - und trotzdem sind die kritischen Stimmen nicht verstummt. Deshalb sage ich: Wichtiger als die äussere Umgebung ist die Qualität der Beziehungen zwischen einer Bewohnerin, ihren Angehörigen und dem Personal. Damit ist es manchmal immer noch nicht zum Besten bestellt, und manche alte Menschen fühlen sich in einem Heim abgefertigt und entmündigt. Wenn sich dies auch nicht verallgemeinern lässt, hält sich das Klischee doch hartnäckig.

Wie viel Prozent der alten Menschen leben weder in einem Altersheim noch in einem individuellen Haushalt?

Vermutlich keine drei Prozent. Auch wenn das eine sehr kleine Zahl ist, haben diese Menschen, die beispielsweise in Wohn- und Hausgemeinschaften zusammenleben, eine wichtige Vorreiterfunktion. Sie tragen dazu bei, dass neue Wohnbilder für das Alter entstehen. Ich bin zuversichtlich, dass ihre Zahl in den nächsten Jahren zunehmen wird. Schliesslich wird jetzt die Generation alt, die selbst in verschiedenen alternativen Wohnmodellen gelebt hat.

Wie möchten Sie im Alter wohnen?

Am liebsten so wie heute in einer kleinen durchmischten Hausgemeinschaft. Dort sind regelmässige Kontakte zu Nachbarn ebenso möglich wie der Rückzug in die Privatsphäre.

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© Barbara Lukesch