Übergriffe in der Drogenstation Frankental

Leiter unter Verdacht / 10. Februar 1996, "Tages-Anzeiger"

Symbolbild zum Thema Gewalt

Schwere Vorwürfe gegen Heinz Frei, den früheren Leiter der Zürcher Drogenstation Frankental.

Als Leiter der Stadtzürcher Drogenentzugsstation Frankental war Heinz Frei seinerzeit stark umstritten. Vor knapp drei Jahren verliess er diesen Posten, seit einem Jahr ist er Leiter des Männerheims Satis in Seon AG. Und alte Probleme tauchen wieder auf.

Als Heinz Frei das Zürcher Frankental leitete, musste er sich schweren Machtmissbrauch vorwerfen lassen. Frei, so die Anschuldigungen, habe in der grössten Schweizer Drogenentzugsstation die Abhängigkeit von Klientinnen ausgenützt und diese sexuell ausgebeutet. Ehemalige Mitarbeitende des Frankental hielten damals fest, dass Frei "ein Klima der Angst und Einschüchterung" erzeuge und seine Umgebung in der Art eines Diktators mit "grauenhaften Wutausbrüchen und Schreianfällen" terrorisiere.

Stadtrat Wolfgang Nigg sah sich zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen Frei gezwungen. Wegen fehlender Hinweise auf strafbare Handlungen wurde es indessen eingestellt. Allerdings beharrte das Zürcher Nottelefon für vergewaltigte Frauen auf seinen Vorwürfen und sprach von einer "Reinwaschung". Der Einblick in den Untersuchungsbericht wurde der Fraueninstitution aber verweigert.

"Unfassbare Art von Machtmissbrauch"

Seit bald einem Jahr leitet Frei nun das Männerheim Satis im aargauischen Seon. Und wiederum steht er unter schwerem Beschuss. In einer schriftlichen Erklärung, die dem TA vorliegt, beschuldigt eine ehemalige Mitarbeiterin Frei, er praktiziere "eine fast unfassbare Art von Machtmissbrauch (Willkür, Manipulation, Unterdrückung, Verletzung bis zur Zerstörung von Menschen)". Nach Aussagen einer anderen ehemaligen Angestellten vergiften "Repression, Drohungen und Strafen" die "Atmosphäre, die unter dem früheren Heimleiter von Wohlwollen und Familiensinn geprägt war".

Das Männerheim Satis ist eine private Stiftung. Es beherbergt Männer aller Altersgruppen, die mehrheitlich unter Alkohol-, Drogen- und/oder anderen psychischen Problemen leiden und deshalb nur im geschützten Rahmen der hauseigenen Arbeitsplätze beschäftigt werden können. Die Insassen sind in hohem Mass vom Satis abhängig. Wer negativ auffällt, muss damit rechnen, allenfalls in den Strafvollzug zurückversetzt, in eine psychiatrische Klinik ein- oder weggewiesen zu werden. Mit solchen Massnahmen, sagen die ehemaligen Mitarbeiter, drohe der 41jährige Frei seinen Pensionären immer wieder. Dabei setze er unmässigen Druck auf. Das töne dann so: "Wenn ich will, lasse ich das Überfallkommando einfahren - und Sie fliegen raus!"

Freis Umgangston mit den Bedürftigen, aber auch mit den Mitarbeitenden, sei generell von "Kälte, Geringschätzung und Missachtung" geprägt. Über einen schwerkranken Mann habe er in dessen Gegenwart gesagt, dass sich eine Operation nicht mehr lohne, "weil es ihn sowieso nicht mehr lang gibt". Einen anderen habe er gebadet und dabei mehrfach einem anwesenden Mitarbeiter zugerufen, was für "ein Grüsel" dieser Pensionär sei und "wie furchtbar er stinkt". Der überraschende Tod der Mutter eines Bewohners sei ihm kein Wort des Trostes oder Kondolierens wert gewesen. Bezeichnungen für die Insassen wie "Ärsche" oder "Füdeler" gehörten zu seinem normalen Umgangston. Eine ehemalige Angestellte erklärt: "Die Zeit im Satis unter Frei war die schlimmste Zeit meines Lebens."

"Reine Stimmungsmache"?

Frei weist die massive Kritik an seiner Person und an seinem Führungsstil zurück. Auch sein gegenwärtiges Team zeigt sich über die Vorwürfe höchst erstaunt. Im Satis, heisst es einhellig, herrsche "absolut kein Klima der Angst" und schon gar kein Psychoterror. Ausdrücke wie "Arsch" oder "Ärsche" - dies räumt Frei immerhin ein - würden "im kollegialen Gespräch" durchaus einmal fallen. Klaus Harter, Hauspsychologe im Satis, rechtfertigt dies damit, dass in einer solchen Institution eben viele Aggressionen und Emotionen zu bewältigen seien.

Von einer Supervision, wie sie von mehreren früheren Mitarbeitern vielfach gefordert wurde, hält Harter indessen nichts: Er selber stehe als Ansprechperson jederzeit zur Verfügung. Auch Harters Ehefrau, die als Tochter des Satis-Gründers eng mit dem Heim verbunden ist, gehört zum aktuellen Leiterteam. Wie Frei reagieren auch die Mitglieder des Stiftungsrats brüskiert auf die harten Vorwürfe. Das sei alles "reine Stimmungsmache", erklären sie, was einigermassen erstaunt, weil solche Klagen nicht zum ersten Mal erhoben werden. Mündliche, aber auch schriftliche Beschwerden der Mitarbeiterschaft wurden indessen immer abgewiesen, Kritiker und Kritikerinnen als fachliche Versager oder psychische Problemfälle abgekanzelt.

Das prominenteste Mitglied des Stiftungsrats mag sich zum Thema überhaupt nicht äussern: Mario Etzensperger, Chefarzt in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden, verweigert jede Stellungnahme. Ob dies mit Freis Vergangenheit zu tun hat? Schon während seiner Ausbildung zum Psychiatriepfleger an der Schule für psychiatrische Krankenpflege am Burghölzli war dem damaligen Schulleiter nämlich ein "menschenverachtender Zug" an Frei aufgefallen sowie "ein Mangel an echter menschlicher Zuwendung". Auch im Rahmen seiner Tätigkeit in der Zürcher Stiftung Altried, einem Behindertenheim, wurde Frei als "autoritär, bevormundend und unsensibel" wahrgenommen.

"Hohe soziale Kompetenz"

Davon wusste der Stiftungsrat des Satis bei der Einstellung Freis indessen nichts. Schliesslich, sagt der Stiftungsratspräsident und Eheberater Rudolf Schlosser, habe der Kandidat als ehemaliger Leiter des Frankental hervorragende Referenzen seiner Zürcher Vorgesetzten vorweisen können. Der Zürcher Stadtarzt Albert Wettstein bestätigt dies: Gemäss seinen Erfahrungen verfüge Frei über eine "hohe soziale Kompetenz", er handle stets "aus tiefer Achtung gegenüber den ihm anvertrauten Menschen", und wenn er bisweilen eine gewisse Härte zeige, dann ganz wie "der gute Vater, der auch einmal 'nein' sagen muss". Die "Frankental-Geschichte" bucht Wettstein unter dem Kapitel "Verleumdungen" ab: "Frei ist konsequent, hat Erfolg und weckt Neid. So ist er damals zum Opfer seiner Gegner geworden."

Der Stiftungsrat des Satis nahm die Botschaft aus Zürich mit Wohlgefallen zur Kenntnis. An Frei war man nämlich nicht nur als Leiter interessiert, sondern ebenso sehr als erfahrenem Sanierer, denn das Heim war in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Innert Kürze wurde Frei den Erwartungen gerecht: Er füllte die Betten wieder. Wohnten früher durchschnittlich 45 Pensionäre im Satis, sind es gegenwärtig rund 70. Frei, bemängeln Kritiker, nehme "jeden, der kommt" - ohne Rücksicht auf die personellen und fachlichen Kapazitäten des Heims und ohne Feingefühl für das Gruppengefüge. Früher hätten mehrheitlich "harmlose alte Alkis" im Satis gewohnt. Frei habe nunmehr ein "explosives Gemisch" angerichtet, in dem es viel mehr schwere psychiatrische Probleme wie Depressionen, Schizophrenien und Persönlichkeitsstörungen, aber auch mehr schwere somatische Fälle gebe. Gleichzeitig fehle es aber an genügend qualifiziertem Personal.

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© Barbara Lukesch