Beleidigungen, Beschimpfungen, Drohungen, Erniedrigungen

Psychoterror in Partnerschaften / Januar 1998, "Schweizer Familie"

Symbolbild zum Thema Gewalt

Psychische Gewalt in Ehen und Partnerschaften ist viel verbreiteter als gemeinhin angenommen.

Die Anfangszeit ihrer Ehe hat Regine S. in guter Erinnerung. Damals habe Richard, ihr Mann, es sehr genossen, mit seiner attraktiven, zehn Jahre jüngeren Frau für Aufsehen zu sorgen. Er sei ihr beruflich und finanziell weit überlegen gewesen und habe sich in dieser Rolle sicher und wohl gefühlt. Sie selber sei mit ihren damals zwanzig Jahren noch so naiv und unerfahren gewesen, dass ihr sein ausgeprägtes Dominanzstreben gar nicht aufgefallen sei.

Erst als die Marketingspezialistin ihre Ausbildung abgeschlossen und beruflich sehr schnell Erfolg hatte, viel Geld verdiente und häufig auf Geschäftsreise im Ausland weilte, bekam sie seine Feindseligkeit zu spüren. Richard machte sich über ihren Job lustig, stellte ihre Leistungen in Frage, weigerte sich, mit ihr ernsthaft zu diskutieren und nörgelte nur noch an ihrem Aussehen herum - kurz und gut: "Er stempelte mich zur totalen Versagerin." Hintenherum erfuhr sie allerdings, dass sich der Manager vor seinen Kollegen gern mit seiner "tollen Karrierefrau" brüstete.

Regine S. ahnte natürlich, dass ihr Mann mit Rivalität und Eifersucht zu kämpfen hatte und sich verunsichert fühlte, weil ihm sein "kleines Mädchen", wie er sie oft nannte, zu entgleiten drohte. Allein - diese Erkenntnis nützte der heute 41jährigen nicht viel. Innert Kürze geriet die einst selbstbewusste und qualifizierte Berufsfrau in eine schwere Krise und litt unter nagenden Zweifeln, Minderwertigkeitsgefühlen und Depressionen.

Jeden Respekt verloren

Als sie Mutter wurde und ihren Job aufgab, wurden Richards Attacken immer giftiger: "Jetzt hatte er jeden Respekt vor mir verloren", erinnert sie sich, "und liess mich seine Geringschätzung in voller Wucht spüren." Abends höhnte er: "Und, was hast du denn den lieben langen Tag gemacht?" Keine Gelegenheit liess er aus, um ihr ihre finanzielle Abhängigkeit unter die Nase zu reiben. Gönnerhaft gestand er ihr hin und wieder den Kauf eines Kleidungsstücks zu, erwartete dafür aber einen Kniefall und "ewige Dankbarkeit": "Ich fühlte mich so gedemütigt wie noch nie in meinem Leben".

Eines Tages schwante ihr dann auch noch, dass ihr Mann eine Geliebte haben könnte. Sie stellte ihn zur Rede und wurde mit kaltem Schweigen bedacht. Bis sie ihn schliesslich in flagranti ertappte und zur Wohnung hinauswarf, durchlief sie ein Martyrium: "Richard verweigerte jedes Gespräch; ich war mit den Kindern allein, fühlte mich ohnmächtig und wusste nicht mehr ein noch aus." Wenn er in jener Zeit abends nach Hause kam, habe er die ganze Familie mit seiner Ungeduld und seinen Wutausbrüchen terrorisiert: "Das war die Hölle." In der Folge erfuhr sie, dass ihr Mann sie seit Jahren belogen und mit zahllosen "Nebenfrauen" betrogen hatte: "Es tat sehr weh zu realisieren, dass meine Ehe ein einziges Trugbild war und ich jahrelang zum Narren gehalten wurde."

Noch heute, zwei Jahre nach der Scheidung, spielt der Manager, der im Ausland einen Top-Job bekleidet, ihr gegenüber seine Macht aus und lässt sie Monat für Monat mindestens ein, zwei Wochen lang auf die Unterhaltszahlungen warten, die er noch dazu eigenmächtig um einen Drittel gekürzt hat. Die Mutter zweier kleiner Kinder kann mitunter nicht einmal die Miete pünktlich zahlen, ist beruflich nahezu chancenlos und sozial isoliert.

375'000 betroffenen Frauen

Regine S. ist bei weitem kein Einzelfall. Gemäss der im Rahmen eines Nationalfondsprojekts durchgeführten repräsentativen Studie "Gewalt in Ehe und Partnerschaft in der Schweiz" sind rund vierzig Prozent aller Frauen im Verlauf ihres Lebens von psychischer Gewalt betroffen. Mehr als jede vierte Befragte gab an, im Jahr vor der Erhebung Psychoterror ausgesetzt gewesen zu sein. Übertragen auf die gesamte Schweiz heisst das, dass 375'000 Frauen im Verlauf des Untersuchungsjahres 1993 unter Beleidigungen, Beschimpfungen, Drohungen und Erniedrigungen, aber auch Randalieren, Zerstören von Gegenständen und Ein- oder Ausgesperrtwerden durch ihren Partner zu leiden hatten.

Dass psychische Gewalt dermassen weit verbreitet ist, mag auf den ersten Blick überraschen. Denn im Gegensatz zu körperlicher und sexueller Gewalt, die in den letzten Jahren immer wieder in den Medien thematisiert wurden, ist psychische Gewalt ein Tabu und gehört zu den bestgehüteten Geheimnissen in Ehen und Partnerschaften.

Dabei ist Psychoterror, nach Aussage der Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin, ein Problem, das in den Zeiten von Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise in enormem Ausmass zugenommen hat. "Männer", sagt die Fachfrau, "reagieren sehr aggressiv, wenn sie beruflich unter Druck geraten und die Kontrolle verlieren." Viele würden ihre Machteinbusse kompensieren, indem sie zu Hause den Macker heraushängen und ihre Partnerinnen kleinzuhalten versuchen.

Doch da es als normal, ja, sogar "salonfähig" gelte, so Welter-Enderlin, die eigene Frau auch in Gegenwart anderer lächerlich zu machen und blosszustellen, würden viele Frauen das, was ihnen widerfahre, gar nicht als Gewalt wahrnehmen. Mangels sichtbarer Wunden oder Blutergüssen fällt es ihnen zudem schwer, das ihnen angetane Unrecht vor der Polizei oder einem Friedensrichter als solches darzulegen und zu beweisen. Also schweigen sie, fressen ihr Leid in sich hinein, suchen die Schuld für die Eheprobleme bei sich und hoffen inständig, der geliebte Mann werde sich eines Tages ändern.

Wie "lebendig begraben"

Genauso erging es auch der 42jährigen Schriftstellerin Paula Charles*, die ursprünglich aus der Karibik stammt und während sechzehn Jahren mit einem Schweizer zusammenlebte. Sie ertrug die verbalen Angriffe ihres Mannes, weil sie glaubte, das sei das "Vorrecht ihres Märchenprinzen." Sie liess sich von ihm lauthals zusammenstauchen, tagtäglich verunglimpfen, heute für ihre "Faulheit" und morgen für ihre Versuche, beruflich trotz Sprachschwierigkeiten Fuss zu fassen: "Ich geriet in eine paradoxe Lage", erinnert sie sich, "wusste nicht mehr, wer ich bin und was ich will und habe 24 Stunden die Bedürfnisse meines Mannes zu ergründen versucht." Sie habe sich schliesslich gefühlt, als sei sie "lebendig begraben."

Erschwerend an ihrer Situation war ihre reale Abhängigkeit. Sie hatte kein eigenes Geld und grosse Mühe, eine Stelle zu finden, war sozial entwurzelt und ohne familiäre Kontakte. Migrantinnen sind den gewalttätigen Eskalationen ihrer Partner tatsächlich in besonderem Mass ausgeliefert. Oftmals stehen sie den Drohungen ihrer Männer, sich scheiden zu lassen, hilflos gegenüber, müssen sie doch in einem solchen Fall mit Fürsorgeabhängigkeit und damit Ausweisung aus der Schweiz rechnen. Das kann für eine Muslimin aus der Türkei, dem Iran oder Pakistan zur Katastrophe werden, weil geschiedene Frauen in ihrem Heimatland geächtet und als "Hure" verschrien sind. Kein Wunder, sagt eine Fachfrau vom Wohnhaus "Violetta", in dem Migrantinnen in Not Unterschlupf finden, lassen sie sich jahrelang wie "Sklavinnen" halten, am Besuch eines Deutschkurses hindern und damit erpressen, dass ihre Kinder entführt würden.

Die Frage des Geldes ist für sie, aber auch für Schweizerinnen oftmals der Dreh- und Angelpunkt, an dem sich der männliche Kontrollwahn und Machtanspruch im Alltag aufs deutlichste zeigt. Hier wird das Haushaltsgeld beschnitten, dort werden unverhältnismässig grosse Investitionen ohne Wissen der Frau getätigt. "Richard", erzählt Regine S., "betonte täglich, wie froh ich sein könne, dass er Geld nach Hause bringt." Solche Erniedrigungen, sagt eine andere Frau, führten dazu, dass man sich "wertlos wie der letzte Dreck fühlt."

Nur keine Fehler machen

Mit der Zeit, erzählen verschiedene Betroffene, sei man "vollständig auf den Partner fixiert", stehe unter "Dauerstress" und versuche "verzweifelt, ja keinen Fehler zu machen. Isoliert und in Unkenntnis darüber, wievielen ihrer Geschlechtsgenossinnen ein ähnliches Schicksal widerfährt, lassen sich die Frauen hilflos von den terroristischen Stimmungswechseln ihrer Männer einschüchtern, lassen sich ihre Hobbys, Interessen und Pläne mies machen, bis sie sie ganz fallenlassen, werden mitunter nörglerisch und unzufrieden oder verstummen ganz - mit der fatalen Folge, dass auch ihre Kinder unter dem häuslichen Unfrieden schwer zu leiden haben. Trotzdem münden solche Beziehungen nicht selten in Jahrzehnte währende Arrangements, in denen es zwar nicht zu körperlicher Gewalt kommt, die aber trotzdem für alle Beteiligten zur lebensfeindlichen Falle werden.

Gewalttätige Männer sind oft äusserlich potente, innerlich aber schwache Figuren, ohnmächtige Gestalten, die sich durch die Unterwerfung ihrer Frauen (und Kinder) einen Machtzuwachs versprechen. Rosmarie Welter-Enderlin nennt sie "Bubi-Männer", deren Selbstbewusstsein gering und deren Angst vor dem Leben und dem Versagen entsprechend gross ist. Ihre Partnerinnen empfinden diese Männer oftmals wie selbstsüchtige Kinder, die weder für sich noch für ihre Familie die emotionale Verantwortung zu übernehmen bereit sind. Trotz der finanziellen und beruflichen Überlegenheit, konstatiert Welter-Enderlin, seien sie psychisch und emotional zutiefst abhängig von ihren "Mami-Frauen", die ihnen den Rücken freihalten, indem sie sie konkret und gefühlsmässig ernähren. Auch Alex, Paula Charles' geschiedener Mann, beteuerte trotz aller verbaler Attacken gegen sie stets, dass er nicht ohne sie leben könne.

Solche Abhängigkeiten sind einem "richtigen" Mann natürlich verhasst, und so rächt er sich für diese Schmach postwendend mit der Verunglimpfung und Entwertung seiner sogenannten "Partnerin". Das ist ein Teufelskreis, aus dem es gemäss Fachleuten nur ein Entrinnen gibt, wenn die betroffenen Frauen das Schweigen brechen, sich bei Beratungsstellen oder Psychologinnen Hilfe holen, ihre Flügel ausbreiten und ihre Autonomie stärken - wenn nötig auch unter Inkaufnahme der Trennung beziehungsweise Scheidung von ihrem Mann.

* In ihrem Buch "Schwarze Frau, weisser Prinz" (Limmat Verlag, 1997) beschreibt Paula Charles die Geschichte ihrer Ehe mit Alex.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

© Barbara Lukesch