Angst vor dem nächsten Schlag

Gewalttätige Männer / 27. Februar 2002, "Annabelle"

Symbolbild zum Thema Gewalt

Marlies B. ist eine warmherzige Frau mit weichen Zügen. Sie trägt einen flauschigen Pullover und eine Jeans, die ihren kleinen, kräftigen Körper sorgfältig eingepackt erscheinen lassen. Fünfzig Jahre würde ihr niemand geben. Manchmal aber wird ihre Stimme leise, sie wirkt dann wie ein Mädchen, das unsicher um die passenden Worte ringt. Einzig wenn sie erzählt, wie gern sie mit Rolf, ihrem fünf Jahre jüngeren Ehemann, in den Ausgang geht, sich in einem Thermalbad verwöhnen lässt oder in die Ferien verreist, spricht sie laut und klar. «Es gibt viele Frauen», sagt sie, «die mich um einen solch unternehmungslustigen Partner beneiden.» Rolf B. schaut seine Frau voller Zufriedenheit an. Er hat es gern, wenn sie so von ihm spricht.

Ihre Tränen hingegen mag er nicht. Im Vorfeld des Gesprächs hatte er sie darum gebeten, keine Szene zu machen. Und jetzt sitzt sie doch da und muss einfach weinen, als sie daran erinnert wird, dass sie in den vergangenen 15 Jahren ihres Lebens mehr als einmal panische Angst davor hatte, von ihrem Mann umgebracht zu werden. Rolf rutscht unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Seine Anspannung ist in diesem Moment mit Händen zu greifen. Marlies wischt sich die Tränen eilig mit beiden Handrücken weg.

Rolf ist ein sympathischer Mann, der viel lacht und einen rauen Witz hat. Sein Körper ist etwas untersetzt, seine rissigen Hände zeugen von schwerer Arbeit. Rolf ist aber auch ein Mann, der Gewalt gegen seine Frau ausübt. «Ich habe sie geschlagen, getreten, bin ihr an den Hals und habe sie gewürgt - alles, was dazugehört», legt er sein Versagen mit trotzigem Unterton auf den Tisch. Er beschönigt nichts, redet nicht um den heissen Brei herum. Fast gewinnt man den Eindruck, es tue ihm wohl, sein Gegenüber prompt mit der ganzen Wahrheit zu konfrontieren. Marlies sagt schnell: «Jetzt ist es aber viel besser.» Der letzte Angriff liegt immerhin schon drei Monate zurück.

Bedrohliche Szenen

Damals hatte sie versprochen, für beide zu kochen, war dann aber in eine Terminkollision geraten und nicht rechtzeitig in die Küche gekommen. Ihr Mann fühlte sich übergangen und war enttäuscht. Seine Wut schwoll an, sein Nacken versteifte sich, und im Magen hatte er jenes seltsame, drückende Gefühl, das er so gut kennt. Mit bebender, böser Stimme forderte er sie auf, «null Komma plötzlich zu verschwinden». Als Marlies zögerte, stiess er sie mit voller Wucht um und schrie ihr hinterher: «Jetzt liegst du im Dreck und erlebst einmal, wie ich mich jeweils fühle, wenn ich am Boden bin.»

Szenen wie diese, aber auch noch bedrohlichere, gewalttätigere, gehören seit Jahren zum Alltag des Paares. Die Angst vor der Eskalation, die Unsicherheit, wann ein heftiger Streit wieder einmal in körperliche Gewalt umschlägt, lasten bleiern auf der Beziehung einer Frau und eines Mannes, die allen Widrigkeiten zum Trotz immer noch von sich behaupten, einander gern zu haben. Marlies weiss heute, dass sie sich viel zu viel hat gefallen lassen: «Ich frage mich oft, warum ich all das geschluckt habe.» All die Schläge, Tritte, Würgemale, blauen Flecken und die viele Angst.

Mit der Zeit sei die Angst so etwas wie ihre zweite Natur geworden: «Ich habe Angst, wenn er zuschlägt, ich habe aber auch Angst, wenn ich merke, dass sich die Gewaltspirale wieder zu drehen beginnt, und ich habe jahrelang unter der Angst gelitten, es Rolf nicht recht zu machen und seinen Zorn zu erregen.» Am wohlsten sei ihr jeweils, wenn sie wieder einmal einen Ausbruch hinter sich habe: «Danach ist mindestens für eine gewisse Zeit Ruhe. Ein Gewitter hat die Atmosphäre geklärt.»

An den Anfang der Gewalttätigkeiten können sich beide nur schemenhaft erinnern. Im Zusammenhang mit irgendeinem Familienanlass sei es gewesen, sagt Rolf, und seine Frau habe ihn entgegen ihrem Versprechen mit den Festvorbereitungen allein gelassen: «Wutentbrannt habe ich ihr dann plötzlich eine Schere hinterhergeworfen.» Er sei zwar über sich selber erschrocken, habe aber auch ein Gefühl der Befreiung erlebt. Erst später habe er Trauer und Scham gespürt. Am darauf folgenden Tag entschuldigte er sich.

Eine schlechte Ehefrau?

Marlies war zunächst geschockt. Doch statt mit Zorn, Empörung und Abwehr zu reagieren, schwieg sie, verzieh ihrem Mann und suchte ihren Teil der Schuld. Hatte sie ihn nicht tatsächlich immer wieder enttäuscht? War sie nicht doch eine schlechte Ehefrau, die ihm zu wenig zur Hand ging und bei der schweren Arbeit half?

Rolf ist Besitzer eines kleinen Handwerksbetriebs, den bereits sein Grossvater und sein Vater geführt haben. Seine Arbeit ist körperlich anstrengend. Vor allem mit jüngeren Angestellten hat er immer wieder Schwierigkeiten. Kaum hat er jemanden eingearbeitet, läuft ihm der Mitarbeiter wieder davon. Das Geschäft empfindet er seit je als Belastung und Stress. «Die Bude frisst mich auf», sagt er verbittert, «ich habe kaum Zeit, die schönen Seiten des Lebens zu geniessen.» Unzufriedenheit und das Gefühl, zu kurz zu kommen, seien so etwas wie seine Grundstimmung. Wenn es nach ihm ginge, müsste seine Frau ihm zumindest bei den Büroarbeiten helfen.

Während der ersten Jahre ihrer Ehe versprach Marlies immer wieder, sie werde ihrem Mann unter die Arme greifen und ihm die Administration erledigen. Doch ihre Arbeit als Hausfrau und Mutter zweier kleiner Kinder beanspruchte sie dermassen, dass sie abends keine Energie mehr für die Geschäftskorrespondenz hatte. Rolf entwickelte immer mehr Groll auf sie und beneidete sie um ihre vermeintliche Freiheit: «Ich krampfte mir einen ab, und sie sass mit unseren Töchtern im Schwimmbad.» In zahllosen, oft stundenlangen Diskussionen, die fast jedes Mal in bösem Streit endeten, besprachen sie ihre familiäre und berufliche Situation: Wie sollte es weitergehen?

Marlies vertröstete ihren Mann auf später, wenn die Kinder grösser und selbstständiger sein würden. Er fühlte sich hingehalten, vermisste einen klaren Entscheid und wusste nie, wie ernst es ihr mit ihren Versprechen wirklich war. Genau dies sei denn auch der Stein des Anstosses gewesen. «An meiner Unklarheit hat sich Rolfs Zorn entzündet», konstatiert Marlies.

Zunehmende Frustration und Wut

Anfang der Neunzigerjahre bewarb sie sich dann mit dem Wissen ihres Mannes um eine Stelle in ihrem angestammten Beruf als Sozialarbeiterin. Das sei ein spontaner Entscheid gewesen, erzählt sie, den sie zunächst selber gar nicht richtig ernst genommen habe. Als sie die Stelle zu ihrer eigenen Überraschung bekam und bei der Arbeit von Anfang an grosse Befriedigung fand, verschwand der Unmut ihres Mannes nicht etwa - im Gegenteil, seine Frustration und Wut nahmen zu. Wie konnte sie nur so egoistisch handeln und ihre Bedürfnisse über seine stellen, haderte er. Wie sollte er unter diesen Umständen jemals auf einen grünen Zweig kommen und eine bessere Balance zwischen Beruf und Familie hinkriegen? «In dem Moment sind bei mir alle Sicherungen durchgebrannt», gesteht Rolf ein, «und ich habe versucht, ihr die Freude an ihrem Leben und ihrer Arbeit im wahrsten Sinne zu zerschlagen.»

Die Hiebe und Tritte wurden härter und zahlreicher, Rolfs Vorgehen immer gemeiner. Einmal, nachdem er sie wieder einmal misshandelt hatte, hinderte er seine Frau daran, die Wohnung durch die Tür zu verlassen, und zwang sie, durch ein Stubenfenster auf die Strasse zu springen und bei den Nachbarn Zuflucht zu suchen. Ein anderes Mal griff er sie in einem abgelegenen Gartenhäuschen an, wo sie sich ihm so ausgeliefert fühlte, dass sie befürchtete, «wenn nicht an seinen Schlägen, so doch an meiner unbändigen Angst zu sterben».

Einige Zeit nach den ersten Angriffen vertraute sich Marlies Freundinnen und Freunden an. Auch der Hausarzt wusste um die Probleme des Paares und riet zu einer Ehetherapie, die B.s dann während 15 Monaten auch machten. Marlies sagt: «Viele Leute in unserem Umfeld kennen unsere Geschichte, und trotzdem hat sich fast niemand von uns beziehungsweise von Rolf distanziert.» Man schätze einfach - trotz allem - seine sympathische Art.

Am Tag nach einem Eclat ging das Paar jeweils wieder zum Alltag über. Schwamm drüber, sagte sich Marlies, die sich selber «eine Weltmeisterin im Verdrängen» nennt. Im Grunde genommen ist Rolf ja ein Lieber, beruhigte auch sie sich, und überhaupt nicht gewalttätig veranlagt. Das sieht Rolf genau so. Er habe auch das Militär stets gehasst, am schlimmsten seien für ihn die Schiessübungen gewesen. Manchmal frage er sich, ob er dort gelernt habe, Konflikte mit Gewalt zu lösen.

Keine Strafanzeige erwogen

Richtig gewehrt hat sich Marlies nur ein einziges Mal, als sie mitten in einer Auseinandersetzung die Polizei rief. Dieser Hilfeschrei führte zwar dazu, dass Rolf von ihr abliess, eine Lösung ihrer Probleme brachte er jedoch nicht. Eine Strafanzeige gegen ihren Mann hat sie nie ernsthaft erwogen. Bei der Vorstellung, es wäre von Amtes wegen gegen ihn ermittelt worden, schüttelt sie den Kopf: «Das hätte doch nur einen Rattenschwanz neuer Konflikte nach sich gezogen.»

Vor drei Jahren kam es zur räumlichen Trennung. Rolfs eskalierende Gewalt hatte diesen Entscheid nötig gemacht: «Andernfalls hätte es bei uns irgendwann Mord und Totschlag gegeben.» Marlies stellte ihren Mann eines Tages vor vollendete Tatsachen und zog in eine eigene Wohnung um, einen knappen Kilometer von Rolf entfernt. Ihre beiden Töchter, die unter dem Streit der Eltern oft gelitten hatten, spürten grosse Erleichterung. Heute pendeln sie zwischen beiden Wohnungen hin und her. Marlies atmete erstmals nach Jahren wieder auf. Rolf entschloss sich, beim Mannebüro in Zürich um Hilfe nachzusuchen, und trat einer Gruppe von sieben Männern bei, die Gewalt gegen ihre Partnerinnen ausüben. Einige Zeit später nahm Marlies Kontakt zu einem Psychologen auf und beanspruchte rund zwölf Therapiesitzungen.

Rolf lernte im Mannebüro, einem anderen Menschen wirklich zuzuhören und das, was er sagen wollte, klar und deutlich auszudrücken. Er bekam erstmals in seinem Leben ein Gespür für sich und seine Bedürfnisse, aber auch für die Verantwortung, die er und niemand sonst trägt, wenn er jeweils zuschlägt. Wenn er heute auf Marlies wütend wird und merkt, dass sich die Gewaltspirale zu drehen beginnt, verlässt er die Wohnung, unternimmt einen langen Fussmarsch und leistet sich ein feines Dessert in einem Restaurant, einfach etwas, das ihm gut tut.

Zweimal ist er trotz seiner neuen Einsichten rückfällig geworden. «Das waren bittere Momente», erinnert er sich, «die in mir die Angst weckten, dass ich wieder ins alte Fahrwasser geraten würde.» Seiner Frau, mit der er wieder regelmässig die Freizeit verbringt, erging es ähnlich.

Zuversicht ist zurückgekehrt

Doch heute, nach drei Monaten der Gewaltlosigkeit, ist die Zuversicht bei beiden zurückgekehrt. Rolf ist allerdings überzeugt, dass er sich ähnlich wie ein Suchtkranker sein Leben lang mit dem «Virus der Gewalt, das in mir steckt», auseinander setzen muss. Marlies hält eine endgültige Heilung nur dann für möglich, wenn ihr Mann seine berufliche Situation klären könne.

Rolf nickt. Wie gern wäre er den Druck los, diese tägliche Belastung und die Angst, eines Tages finanziell zu scheitern. Vor kurzem musste er erstmals einen Kredit bei der Bank aufnehmen. Vorstellungen über seine berufliche Zukunft hat er verschiedene. Am liebsten würde er ein bis zwei Jahre bei der städtischen Kehrichtabfuhr arbeiten. «Dabei könnte ich auch einen Teil meines persönlichen Mülls loswerden», sagt er halb im Spass, halb meint er es ernst. Erst wenn sich ihr Mann von diesem Ballast befreit hat, kann sich Marlies ein Zusammenleben mit ihm wieder vorstellen: «Meine Angst wäre zu gross, dass ich wieder stellvertretend für seinen Frust herhalten und Schläge kassieren müsste.»

Solche Sätze hört Rolf nicht gern. Das weiss seine Frau und spricht sie daher so fahrig und leise, dass man sie fast nicht versteht. Schliesslich will sie die gute Stimmung nicht beeinträchtigen. Aber gleichzeitig will sie auch nicht länger heile Welt vorgaukeln, während in Wirklichkeit ihr Leben auf dem Spiel steht.

Der Kopf sagt Rolf, dass seine Frau eine selbstständige Person ist, die unabhängig von ihm über ihren Beruf, ihre Hobbys und ihre Freizeit entscheiden und sagen darf, was sie denkt. Sein Bauch aber sagt ihm mitunter etwas ganz anderes. Da unten lauern nach wie vor all die schwierigen Gefühle wie Groll, Neid, Wut und Ärger, jene Regungen, denen er künftig anders beikommen will als mit Schlagen und Treten. «Ich bin überzeugt, dass ich das schaffen werde», sagt er mit Nachdruck, «aber es braucht seine Zeit, bis ich die alten, eingefahrenen Muster ausgelöscht und durch neue Verhaltensweisen ersetzt habe.»


"Letztlich sind gewalttätige Männer sehr einsam"

Interview mit Lu Decurtins (38), Mitarbeiter des Mannebüros Züri, Zürich, Sozialpädagoge und Supervisor.

Lu Decurtins, Sie kennen die Geschichte von Rolf B. *, der seit drei Jahren ins Mannebüro kommt. Inwieweit stellt er den typischen Klienten Ihrer Beratungsstelle dar?

Lu Decurtins: Den typischen Klienten gibt es nicht. Man kann höchstens einzelne Aspekte von Rolf B.s Geschichte aufführen, die man in der Partnerschaft gewalttätiger Männer häufig vorfindet. Dazu gehört die Tatsache, dass er Gewalt nicht erst seit gestern, sondern bereits seit vielen Jahren ausübt. Wie auf anderen gewalttätigen Männern lastet auch auf Rolf ein starker Druck von aussen, in seinem Fall vor allem verursacht durch eine anhaltend schwierige berufliche Situation. Daraus resultiert ein Gefühlskonglomerat, das Männer vage und schwer fassbar als Frust bezeichnen. Es setzt sich aus so genannt unmännlichen Gefühlen wie Enttäuschung, Gekränktsein, Trauer, Hilflosigkeit und Verletztsein zusammen. Rolf spricht ja immer wieder von seiner Unzufriedenheit. Auch in Sachen Kommunikation und Streitkultur deckt sich das Verhalten von Marlies und Rolf B. mit dem zahlreicher anderer Paare. Sie verstehen sich nicht, reden immer wieder aneinander vorbei.

Worin unterscheidet sich Rolf B. deutlich von anderen Ihrer Klienten?

Speziell an ihm ist, dass er sich seit drei Jahren, also einer vergleichsweise langen Zeit, auf die Arbeit an seiner Gewalttätigkeit einlässt, mit dem Kopf auch bereits sehr viele Muster durchschaut und trotzdem nach wie vor rückfallgefährdet ist. Offenbar gibt es in seinem Leben oder seiner Psyche gewisse Strukturen, die sich hartnäckig einer Veränderung widersetzen.

Das könnte ja bedeuten, dass ihm das Schlagen trotz seiner Einsicht in die Schädlichkeit dieses Tuns auch einen Gewinn bringt.

Sagen wir, einen kurzfristigen Gewinn, der in einer momentanen Befreiung von Minderwertigkeits- und Ohnmachtsgefühlen liegen kann. Diese als unmännlich empfundenen Gefühle versucht ein Mann, der Gewalt ausübt, im wahrsten Sinne des Wortes schlagartig loszuwerden und damit die Kontrolle über seine Partnerin zurückzugewinnen.

Unbestritten ist und bleibt aber die Tatsache, dass schlagende Männer sehr viel riskieren ...

Richtig. Der Preis, den sie zahlen, wird ihnen oft erst zu spät bewusst. Sie leben in einer Partnerschaft, die von Angst beherrscht wird und allmählich kaputtgeht. Auch ihr Verhältnis zu den Kindern ist dadurch belastet. Letztlich sind gewalttätige Männer sehr einsam. Dazu besteht auch das Risiko, dass sie von ihrer Frau angezeigt werden und in die Mühlen der Justiz geraten.

Gibt es bestimmte Konstellationen, die Gewalt begünstigen?

Männer, die in ihrer Herkunftsfamilie Gewalt erlebt haben, sind stärker gefährdet, selber einmal Gewalt auszuüben. Gewaltbegünstigend wirken auch starre Rollenbilder und ein starkes Machtgefälle innerhalb ihrer Partnerschaft. Man denke beispielsweise an Ehen zwischen ausländischen Frauen und Schweizer Männern - oder umgekehrt. Stress, egal welchen Ursprungs, trägt dann ein Weiteres dazu bei, dass Männer die Schwelle zur Gewalttätigkeit schneller überschreiten.

Was können misshandelte Frauen tun, um die Gewaltspirale zu stoppen?

Sie sollten sich Hilfe holen und Beratungsstellen aufsuchen, und zwar möglichst zu einem Zeitpunkt, zu dem die Ehe noch nicht heillos zerrüttet ist. Viel versprechend ist auch der Versuch, den Mann mit Druck zum Besuch des Mannebüros zu bewegen. Mir sagen immer wieder Männer, dass sie ihren Frauen im Nachhinein dankbar sind, dass sie sie zu diesem Akt der Veränderung «gezwungen» haben.

Wie stark wird das Mannebüro frequentiert?

Im Jahr 2000 haben über hundert gewalttätige Männer bei uns Hilfe gesucht und alles in allem 205 Einzelberatungen beansprucht; dazu kommen die Gruppensitzungen. Das heisst, wir beraten beinahe täglich gewalttätige Männer. Die Klienten nehmen zunächst fünf Einzelsitzungen in Anspruch und wechseln dann, wenn möglich, in die Gruppenberatung. Die Gruppen bestehen aus drei bis sieben Männern. Die Arbeit mit diesen Klienten ist in der Mehrzahl der Fälle von beachtlichem Erfolg gekrönt. Ich muss aber auch anmerken, dass sich etliche Männer nur einmal melden und in dem Moment, wo sie merken, dass wir keine Patentrezepte zu verteilen haben, wieder abspringen.

Welche Männer wagen den für sie ja mit Sicherheit schwierigen Schritt und wenden sich ans Mannebüro?

Es ist für Männer tatsächlich ein enorm schwieriger Schritt, sich im psychosozialen Bereich Hilfe zu holen. Wer ihn dennoch wagt, verfügt bereits über ein gewisses Bewusstsein, wie schädlich sich sein Tun auf sein ganzes Leben auswirkt. Er verdrängt sein Leiden nicht länger mit Alkohol beziehungsweise Berufsarbeit. Er will wirklich etwas verändern. Wobei vielen nicht klar ist, mit wie vielen Schmerzen und schwierigen Gefühlen diese Aufräumarbeit verbunden ist.

Welche Männer werden sich niemals im Mannebüro melden?

Die meisten Männer, die gegenüber ihrer Partnerin Gewalt anwenden, sind potenzielle Klienten des Mannebüros - allerdings erst in dem Moment, wo ihr Leidensdruck genügend gross ist. Nicht bei uns melden sich all jene Männer, die fest davon überzeugt sind, dass Gewalt ein legitimes Männerinstrument ist, um Macht und Kontrolle zu erlangen. Ein Instrument, das ihnen sozusagen naturgemäss zusteht. Sie hinterfragen ihr Handeln in keiner Art, im Gegenteil, sie setzen es gezielt ein, um ihre Frauen zu unterdrücken und klein zu halten.

* Rolf B. hat Lu Decurtins von der Schweigepflicht entbunden.

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© Barbara Lukesch