Die Aroma-Therapie setzt sich in Spitälern durch

Schmerzlinderung / Dezember 1998, "Sonntags-Zeitung"

Symbolbild zum Thema Psychologie und Medizin

Ueli Morgenthaler hatte schon immer ein Flair für feine Aromen und liess sich zum ersten männlichen Parfümverkäufer Zürichs ausbilden. Später erlernte er den Beruf eines Krankenpflegers und arbeitete in verschiedenen Spitälern. Als die Krankheit Aids zu grassieren begann und die Schulmedizin schnell einmal an ihre Grenzen stiess, waren alternative, ganzheitliche und vor allem Linderung versprechende Pflegemethoden gefragt.

Morgenthaler begann, Aidspatienten mit Aroma-Massagen zu behandeln. Das heisst, er massierte HIV-Infizierte oder Kranke mit Ölen oder Body-Lotions, die mit aromatischen ätherischen Ölen angereichert waren. Das Wissen dazu hatte er sich in England angeeignet, wo er sich zum Aromatherapeuten, "einer logischen Verschmelzung meiner beiden Ursprungsberufe", wie er selber sagt, weitergebildet hatte.

Während seiner Tätigkeit als Pfleger im inzwischen geschlossenen Zürcher Aidshospiz "Ankerhuus" entwickelte er ein zehnteiliges Sortiment aus verschiedenen Ölmischungen. Daraus wählte er je nach Befinden und Bedürfnis der Kranken die geeignete Mixtur, die er im Rahmen einer Massage, aber auch für ein Vollbad, eine Kompresse oder zur Raumbeduftung anwendete. Den von Schmerzen Geplagten bot er eine mild-würzige Essenzenmischung aus Rosmarin, Lavendel, Majoran, Eukalyptus und schwarzem Pfeffer an, die "auf den Geist", so Morgenthaler, "klärend-anregend und auf den Körper sowohl wärmend wie auch kühlend wirkt." Wer unter entzündeten, schlecht heilenden Hautverletzungen litt und sich eine generelle Stärkung seines Immunsystems wünschte, war mit der herb-erfrischenden Kombination aus Lavendel, Teebaum, Geranium und Bergamotte, einer Zitrusfrucht, am besten bedient. Die Patienten, erinnert sich Morgenthaler, hätten die individuelle, sinnliche und sehr körperorientierte Aromapflege sehr genossen: "Trotz Aids und aller damit verbundenen Beschwerden fühlten sie sich vorübergehend entspannt und erleichtert."

"Die Seele der Pflanzen"

Ätherische Öle sind hochkonzentrierte biochemische Stoffgemische, die durch Wasserdampfdestillation oder Pressung von Pflanzen gewonnen werden. Liebhaber nennen sie gern "die Seele der Pflanzen." Für die wertvollsten Essenzen wie die reine Iris zahlt man 220 Franken pro Milliliter. Das Gros der Öle kostet zwischen sieben und dreizehn Franken pro fünf bis zehn Milliliter.

Ihre Wirkung ist eine zweifache. Zum einen werden sie über die Haut und Schleimhäute gut aufgenommen und gelangen über das Blut ins Gewebe und zu den einzelnen Organen. "Auf diese Weise", schreibt die Heilpraktikerin Monika Werner, "beeinflussen die Inhaltsstoffe der ätherischen Öle den gesamten Organismus." Zum anderen geben ihre Duftstoffe über die Nase Impulse ans vegetative Nervensystem und wecken verschieden starke emotionale Reaktionen.

Konkret kann also Morgenthalers "Schmerz"-Mischung einerseits lokale Linderung bringen, indem sie an der empfindlichen Körperpartie einmassiert wird; zum anderen aber kann auch ein Duftimpuls zum tiefen Durchatmen und zur Entspannung führen und damit den Teufelskreis von Verkrampfung und Schmerz aufbrechen. Generell lassen sich die wichtigsten Eigenschaften der ätherischen Öle als desinfizierend, durchblutungsfördernd, entzündungshemmend, immunstimulierend, schleimlösend, ausgleichend und aufhellend beschreiben.

Ihre heilsame Wirkung wird seit anfang dieses Jahrhunderts in zahlreichen experimentellen und klinischen Studien erforscht. Wegweisende Arbeit leisteten französische Forscher, die auf eine lange Tradition im Umgang mit Duftstoffen zurückblicken konnten. Der Arzt Jean Valnet verhalf mit seinem 1964 erschienenen Buch "Aromatherapie" diesem neuen Zweig der Pflanzenheilkunde zu einer ersten Anerkennung. Noch heute ist das Praktizieren der Aromatherapie in Frankreich Ärzten vorbehalten, die die Einnahme fachgerecht dosierter ätherischer Öle favorisieren.

Revival der Aromen

In England hingegen entwickelte sich die Aromatherapie zu einer äusserlich angewandten Heil- und Pflegemethode, die sich sowohl in Spitälern aber auch in Kosmetik- und Coiffeursalons durchgesetzt hat. Dabei stand seit jeher die Aroma-Massage im Mittelpunkt des Interesses. Nach und nach fand das englische Modell seinen Weg in den deutschsprachigen Raum und damit auch in die Schweiz, wo die ätherischen Öle anfangs der neunziger Jahre ihren Siegeszug angetreten haben.

Natürliche Düfte und die Bedeutsamkeit des Geruchssinns wurden zu Themen von wachsendem Interesse. Geschäfte wie das Zürcher "Farfalla", die "Essenzen und Aromapflegeprodukte in Bioqualität" anbieten, begannen zu boomen und neue Ladenlokale zu eröffnen. Apotheken und Drogerien erinnerten sich der verwaisten Sparte und vergrösserten ihr Angebot an Aromaölen. Bei der Swissair offerierte man den First Class-Kunden auf Langstreckenflügen eine zeitlang sogenannte "Aromatherapie"-Tücher, die entweder zur Beruhigung oder zum Wachwerden dienen sollten. Im Frauengefängnis Hindelbank wurde ein Versuch mit Duftsäulen unternommen, mit deren Hilfe schlechte Gerüche eliminiert und gleichzeitig angenehme aufhellende Duftimpulse gesetzt werden sollen - was das auch immer in einem Knast heissen mag. Am meisten Verbreitung in privaten Haushalten hat das Duftlämpchen gefunden, das gemäss "Farfalla"-Mitinhaber Jean-Claude Richard nach wie vor an der Verkaufs-Spitze steht, gefolgt von Produkten aus dem Bereich Kosmetik und Körperpflege.

Neu ist der zunehmende Einsatz der aromatischen Öle in den verschiedenen Einrichtungen des Gesundheitswesens. Fachleute sprechen bereits von einem "regelrechten Boom". Auch wenn von seiten der klassischen Schulmediziner mitunter vehementer Widerstand geübt wird, integrieren immer mehr Spitäler, Krankenheime und psychiatrische Kliniken die Aromapflege in ihren Dienstleistungskatalog. Bei "Farfalla" registriert man vermehrte Bestellungen von Spitalapotheken, während es früher, so Mitbesitzer Richard, "Schwester Martha vom dritten Stock war, die bei uns eine kleine Auswahl an Ölen verlangt hat."

Grosse Nachfrage nach Kursen

Seinerzeit waren es vor allem Duftsteine oder sogenannte "Aroma-Streams", die auf einzelnen Abteilungen zur Verbesserung des Raumgeruchs eingesetzt wurden. Heute arbeiten verschiedenenorts bereits fest angestellte Aromatherapeuten. Der Schweizer Berufsverband der Krankenschwestern und Krankenpfleger SBK bietet seinen Mitgliedern Weiterbildungskurse in Aromapflege an, die jeweils grossen Zuspruch finden.

Einer der versiertesten Kenner der Materie ist der 36jährige Inder Anoop Singh, Psychiatriepfleger und Aromatherapeut an der psychiatrischen Klinik Wil SG. Singh setzt aromatherapeutische Massnahmen unter anderem auch bei Alkoholikern ein, die einen Entzug machen. "Mit entspannenden Massagen", sagt er, "erzielen wir sehr gute Erfolge." Darüber hinaus hat er auch schon Patienten, die sich nach einem schizophrenen Schub in einer akuten Krise befanden, mit der alternativen Therapie vertraut gemacht: "Ein Bad, angereichert mit dem beruhigenden Lavendel, der nervenstärkenden Melisse und der schlaffördernden Orange, kann Geborgenheit spenden und das Gefühl vermitteln, man befinde sich in der Märchenwelt von "Tausend und einer Nacht".

Andere Kliniken wie das Spital Bauma ZH, das Regionalspital Visp VS oder die Klinik Selhofen im Kanton Bern haben sich bereits von Singh in die Kunst der Aromatherapie einführen lassen. Trotz aller Liebe zu seinem Fach betont der selber in Indien Ausgebildete stets, dass die Aromatherapie eine Ergänzung und keineswegs eine Konkurrenz zur Schulmedizin darstelle.

Denselben Ansatz vertritt auch Ursula Nigg-Messmer, die an der kantonalen psychiatrischen Klinik St. Pirminsberg in Pfäfers SG eine Sechzig-Prozentstelle als Aromatherapeutin bekleidet. Das Schwergewicht ihrer Tätigkeit liegt in Aroma-Massagen, die sie, kombiniert mit einem Fuss- oder Vollbad, vor allem gegen Schlaflosigkeit und Verspannung anwendet. Während der Sterbebegleitung von Patienten auf der geronto-psychiatrischen Abteilung macht sie gute Erfahrungen mit feinen Handmassagen oder dem Aufstellen eines Duftlämpchens, das - so Nigg-Messmer - "harmonisierende Gerüche wie jene von Lavendel, Weihrauch, Rose oder Orangenblüte abgibt und den Betroffenen ein wenig die Angst mildern und das Loslassen erleichtern soll."

Helle Begeisterung

Dank der finanziellen Unterstützung einer privaten Stiftung können auch je eine Abteilung des Krankenheims Witikon und des Zürcher Stadtspitals Triemli erste Erfahrungen mit dem Einsatz der Aromapflege sammeln. Im Witiker Chronisch-Krankenheim werden den Bewohnern, die im Durchschnitt 85 Jahre alt sind, aromatisierte Massagen und Bäder angeboten. Nachdem anfangs noch Skepsis vorherrschte und viele über die "Vodoo-Abteilung" spotteten, sind die Patienten nach Aussagen von Stadtarzt Albert Wettstein inzwischen "hell begeistert". "Viele sagen", konstatiert ein interner Bericht, "es tue gut, sie könnten stundenlang hinhalten oder wünschen eine Wiederholung. Einige drücken auch ihre Dankbarkeit aus."

Auf ähnlich grosse Zustimmung stösst das Aromapflege-Angebot der Onkologie-Abteilung im Spital Triemli. Dort führte der 34jährige Ueli Morgenthaler das Personal in das Grundwissen zu den ätherischen Ölen ein. Auf Wunsch der 22 Krankenschwestern stellte er ihnen sein zehnteiliges Ölmischungs-Sortiment vor, das nach geringfügigen Modifikationen, so Oberschwester Marie-Louise Sarraj, genau den Bedürfnissen ihrer meist unheilbar kranken Krebspatienten entspreche. "Wir sind sehr froh", sagt Sarraj, "dass wir ein zusätzliches Hilfsmittel erhalten haben, das wir unseren Patienten in schwierigen Momenten, wenn selbst Morphium nicht mehr ausreicht, in Form von Massagen, feinem Einreiben, Waschungen, Bädern und Wickeln anbieten können." Ganz besonders erfolgreich arbeite man mit den Essenzenmischungen zum Fiebersenken und zur Schmerzlinderung. Sarraj ist denn auch überzeugt, dass die Aromapflege Zukunft habe: "Sie verbessert das Wohlbefinden unserer Patienten, und das ist ein Geschenk für alle."

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© Barbara Lukesch