Der Kunde erwartet "etwas Rechtes" für sein Geld

Hartes Business / 19. Mai 1996, "Sonntags-Zeitung"

Symbolbild Thema Sexualität

Die Prostitutions-Branche hat sich den modernen Zeiten angepasst - die Manager danken es ihr.

Inge K., die ehemalige Studentin der Betriebswirtschaftslehre, hat den ökonomisch-sexuellen Zeitgeist erkannt und im richtigen Moment expandiert. Vor einem Jahr besass die 34jährige noch drei kleine Salons, die in Drei- beziehungsweise Vierzimmerwohnungen untergebracht waren und höchstens vier Prostituierten einen Arbeitsplatz boten. Als Inge K. feststellte, dass der Umsatz rapide zurückging und sie gerade eben noch kostendeckend arbeitete, stiess sie die unrentablen Objekte ab. Stattdessen liess sie sich ein altes Fabrikgebäude in Root LU in einen 600 Quadratmeter grossen Saunaclub umbauen, den sie "Inges Palace" taufte.

Der Name ist Programm, beherbergt das High-Class-Etablissement mit einem Versicherungswert von einer knappen Million Franken doch alle Attraktionen, die das Freier-Herz begehren: einen knapp 60 Quadratmeter grossen Aufenthaltsraum mit Bar, Sauna, Whirlpool und einer Body-Schaum-Anlage, einen Sonnengarten mit Swimmingpool, einen Spiegel-Salon, eine Folterkammer, deren Einrichtung allein 60'000 Franken gekostet hat, und einen Ärzteraum, der mit einem Originalklinikbett und einem Gynäkologenstuhl ausgerüstet ist und weitere 40'000 Franken verschlungen hat. Helle freundliche Farben wie Türkis haben das verruchte Dunkelrot des alten Puffs abgelöst. Mindestens elf Frauen stehen dem Kunden stets zur Verfügung, bereit, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Dem Geschäftsherrn, einem der meistgesehenen Gäste in den Klubs mit gehobenem Niveau, wird der "Manager-Service", eine drei- bis vierstündige Spezialbehandlung mit allen Schikanen zum Pauschalpreis von 1000 Franken offeriert.

Umsatz geht zurück

Inge K.s Investition hat sich gelohnt: Heute läuft ihr Geschäft wieder gut, wobei auch in ihrem Etablissement Spitzenverdienste, die vor fünf bis zehn Jahren noch an der Tagesordnung waren, nicht mehr zu machen sind. Brachte es die Top-Prostituierte seinerzeit durchaus auf 50'000 Franken pro Monat, so muss sie sich heute mit 15'000 Franken zufriedengeben.

Die Wirtschaftskrise hat auch vor dem ältesten Gewerbe der Welt nicht halt gemacht. Der Kunde, so lauten die Aussagen von Szenenkennerinnen unisono, sei preisbewusster und anspruchsvoller geworden. Selbst beim Manager, Arzt und Rechtsanwalt sitze das Geld nicht mehr so locker wie noch zu Beginn der neunziger Jahre. Und wenn er sich dann den Luxus eines Salonbesuchs leiste, erwarte er "etwas Rechtes" für seine hart erarbeiteten Franken. "Der Gast", sagt Tina von S., die Besitzerin des Zürcher Edel-Salons "Saphir", "will länger und intensiver, er wünscht verschiedene Praktiken und drängt mehr als früher auch auf Zungenküsse." Er bestehe darauf, aus einem grösseren Angebot auswählen zu können, verlange in kürzeren Abständen nach "Frischfleisch" (Szenen-Jargon) und akzeptiere auf die Dauer nur Salons, in denen Hygiene, Atmosphäre und Stil herrschten.

Die Zeit des Quickies, der schnellen, routinierten sexuellen Abfertigung sei vorbei. "Mit Fast Food und Hopp, Hopp geben sich höchstens noch die Freier auf dem Strassenstrich zufrieden", sagt eine Prostituierte in Zürich. Das obere Kundensegment, das sich in einem Salon verwöhnen lasse, lege deutlich mehr Wert auf "individuelle Behandlung, Feingefühl und ein persönliches Gespräch." Die Spitzenkräfte aus Wirtschaft und Politik zeigten auffallend mehr Stress-Symptome und seien so stark wie noch nie darauf bedacht, auch ihre Sorgen abladen zu können. Viele von ihnen seien oft dermassen angespannt vom täglichen Konkurrenzkampf, dass sie, so Tina von S., "nichts lieber hätten, als sich vorbehaltlos den Händen einer Prostituierten zu überlassen, die ihnen jeden Entscheid abnimmt." Wer sich auf diese Kunst verstehe, könne auch heute noch viel Geld verdienen.

Höhere Fixkosten

Doch ansonsten müssen die Sex-Workerinnen den Gürtel enger schnallen. Auf Grund der zunehmenden Konkurrenz sind die Preise seit bald fünfzehn Jahren konstant geblieben: Geschlechtsverkehr kostet hundert, allerhöchstens hundertfünfzig Franken, einen halbstündigen Service mit Massage, GV und allenfalls Oralverkehr gibt es schon seit langem für dreihundert Franken.

Ganz im Gegensatz zu den stabilen Preisen sind die Fixkosten der Salon- oder Klubbesitzerinnen in den letzten fünf bis zehn Jahren um nahezu das Doppelte gestiegen. Allein die Auslagen für Inserate können Tausende von Franken verschlingen; Inge K. zahlt bis zu 12'000 Franken. Der Mietzins für einen Sechs-Zimmer-Salon in Zürich klettert schnell einmal auf eine Höhe von 10'000 Franken. Hinzu kommt die Mehrwertsteuer, die kaum eine Prostituierte auf ihre Kunden überwälzt.

Da die Zahl der Salons beispielsweise im Kanton Luzern in den letzten zehn Jahren von drei auf 42 gestiegen ist, ist der Konkurrenzkampf so hart wie noch nie und zwingt die Frauen zu teuren Investitionen in die Innenausstattung ihrer Räume. "Nur wer den schönsten Laden hat", sagt Serena, die Geschäftsführerin des Zürcher Saunaclubs "Pretty Woman", "macht das Rennen." Accessoires wie Peitschen für den Sado-Maso-Kunden kommen dazu. Eine Domina, die etwas auf sich hält, legt allein für ihre Lackgarderobe 1000 Franken aus.

Allen Anstrengungen zum Trotz muss selbst der attraktivste Salon mit einer zwanzigprozentigen Abnahme der Freierbesuche leben. Eine Szenenkennerin weiss aus Erfahrung: "Um auf den Verdienst zu kommen, den man früher mit einem Salon machte, braucht man inzwischen drei." Frauen, die allein oder zu zweit in ihren Privatwohnungen anschaffen, müssen gar finanzielle Einbrüche von bis zu 50 Prozent in Kauf nehmen.

Die Rechnung geht auf: Während das Angebot immens gewachsen ist, ist die Nachfrage eher zurückgegangen. Angesichts von Arbeitslosigkeit und Rezession senken selbst Stammkunden ihre Sex-Frequenzen und freien nicht länger viermal, sondern höchstens noch zweimal pro Monat. Die Geschäftsmänner, die während Jahren Champagner und Prostitution gleichermassen unter "Konsumation" abrechnen konnten, sind seit einiger Zeit einer härteren Spesen-Kontrolle ausgesetzt und damit zu mehr Preisbewusstsein verpflichtet.

Diskussion über den Preis

So kann es nicht überraschen, dass die Prostituierten heute mehr als früher über Preise diskutieren und "durchaus auch einmal einem Kunden", so eine Insiderin, "entgegenkommen müssen". Nicht selten stösst man denn auch in den einschlägigen Inseraten auf Sex-Angebote versehen mit dem Hinweis "Neue Preise."

Wer auf dem Erotik-Markt überleben will, ist tatsächlich gezwungen, sich den veränderten Kunden-Bedürfnissen anzupassen. Eine Kreation, die sich in den letzten Jahren zum regelrechten "Renner" entwickelt hat, sind die sogenannten "Partys". Nichts trifft das hochsensible Preis-Leistungsbewusstsein der Freier so gut wie diese Veranstaltungen, die in vielen Etablissements mehrmals pro Woche durchgeführt werden.

Der Eintrittspreis beträgt zwischen 500 und 600 Franken und ist damit gleich hoch wie derjenige für ein normales Schäferstündchen mit einer Dame. Die maximale Aufenthaltsdauer schwankt zwischen sechs und zwölf Stunden; sechs bis acht Prostituierte stehen zur freien Verfügung: "Die Männer können also so oft, sie wollen, mit wem sie wollen und was sie wollen", umschreibt eine Salonbesitzerin den Reiz dieser Sex-Feste. Eine andere sagt: "Die Partys sind so beliebt, weil sich die Kunden wie in einem Pornofilm fühlen."

Gesteigert werden kann die Attraktivität einer Party nur noch, wenn ein "normales Fraueli" (eine Salonbesitzerin) unter den Gästen weilt. Um solche Schätze an Land zu ziehen, werden Paare stets gratis empfangen. Offenbar lässt die Vorstellung, eine nicht-professionelle Frau aufzureissen, viele Männer Berge versetzen. Wer es schaffe, sagt eine Szenenkennerin, fühle sich wie ein "Siebensiech".

Da auch Freier nicht von Luft und Liebe leben, werden ihnen kalte Platten und Getränke kredenzt. An den feineren Adressen gibt es sogar Gourmet-Buffets mit Lachs, Bowle und Champagner a discretion. Wenn die Gäste trotzdem schlapp zu machen drohen, werden Sado-Maso-Shows oder Lesben-Einlagen geboten, um ihre Lust neu zu entfachen. An den Zürcher Partys wird mehrheitlich bei offenen Türen verkehrt. Inge K. lehnt diese Form "des Rudelbumsens" ab und sichert auch ihren Party-Gästen Diskretion beim Akt zu.

Das ganze Programm

Gut im Rennen liegen zur Zeit auch die Gross-Etablissements, in denen der Gast nicht nur Sex, sondern ebensosehr Unterhaltung und Freizeitvergnügen an der Bar, in der Sauna oder im Whirlpool sucht und oftmals - im Preis inbegriffen - findet.

Die seit einigen Jahren boomenden Escort-Services stossen auf grosse Gegenliebe bei Managern und Geschäftsleuten, die den diskreten Charme dieser Call-Girls schätzen. Sie bezahlen zwar mindestens 600 Franken für ein Treffen, erfreuen sich aber dafür aber auch an einer Begegnung, "in der es viel Zeit und Musse", so eine Escort-Dame, "und gute Gespräche gibt." Eines der zugkräftigsten Verkaufsargumente dieser Anbieter lautet denn auch, dass es sich bei ihren "Mädchen" nicht um "Professionelle", sondern um Frauen mit bürgerlichen Berufen handle, die den Kundenkontakt "aus Spass an der Sache" und nicht nur des Geldes wegen suchten.

Heinz M.*, 28jähriger Broker und selber schon lange Anhänger der Escort-Erotik, ordert seit neuestem nun auch bei Geschäftsbesuchen aus dem Ausland zwei Escort-Damen für einen Pauschalpreis von 2000 Franken. Er schätzt das "Niveau dieser Frauen, die persönlichen Gespräche und die Entspanntheit solcher Begegnungen." Seine Geschäftsfreunde revanchieren sich jeweils bei seinen Gegenbesuchen.

Nach wie vor gefragt bei den Kunden sind die speziellen, mitunter sehr teuren Dienste. Der Richter, der auf "strenge Erziehung" abfährt, leistet sich diesen bizarren Luxus in der Regel auch in den Zeiten der Krise noch. Der verheiratete Manager, der es eigentlich viel lieber mit Männern treibt, mag auch angesichts der Rezession der Versuchung des Zürcher "House of Boys" nicht widerstehen.

Der Standard-Service ist out

Doch sogar die Reihen der solventen Banker, Psychiater und Architekten mit Luxus-Wünschen haben sich gelichtet. Sabine*, Domina aus Luzern, mit einer besonderen Begabung für rein verbale SM-Behandlungen, bekommt in den letzten Monaten immer wieder Absagen von ihren Stammkunden kombiniert mit dem Versprechen, bei "passender Gelegenheit" wieder vorbeizuschauen.

Zunehmend auf der Strecke geblieben ist insbesondere die mittelständische Prostitution, die sich darauf beschränkt, ihren Kunden den Standard-Service zu offerieren. Wer nur zu zweit oder zu dritt einen kleinen Salon betreibt, wird von den Fixkosten aufgefressen. Die Laufkundschaft bleibt vor allem in den Städten an den billigeren Strassenprostituierten hängen oder wandert ins Gross-Vergnügungs-Etablissement ab; mit Stammkunden allein lässt sich nicht länger überleben. Nicht selten sind diese Frauen gezwungen, mehr als zwölf Stunden pro Tag entnervt und gelangweilt in ihrem Geschäft "abzuhocken". Verschiedene haben bereits das Handtuch geworfen und ihren Salon verkauft. "Denn die Zukunft", sagt eine von ihnen, "sieht für uns nicht rosig aus."

* Namen von der Redaktion geändert

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© Barbara Lukesch