Der Alleinunterhalter

Kommunikationstalent / 1997, "Bilanz"

Symbolbild Thema Porträts

Harry Holzheu sprudelt sich für gutes Geld in die Herzen von Firmenchefs und deren Kaderleute.

Seine Wangen sind leicht gerötet, und auf seiner Stirn hat sich ein feiner Schweissfilm gebildet. Harry Holzheu ist nervös. Obwohl es im vollklimatisierten Vortragssaal des Airport-Hotels Maritim in Hannover kühl ist, hat der 62jährige sein Jacket ausgezogen und schwitzt trotzdem noch. Er streicht seine Krawatte glatt, fährt sich mit den Fingern über die trockenen Lippen, blickt hierhin, dorthin, sortiert den Stapel mit rund hundert Projektor-Folien, die vor ihm liegen, immer wieder neu und schenkt seine Aufmerksamkeit seinen Vorrednern.

Er leide Höllenqualen vor einem Auftritt, sagt der Zürcher Motivationstrainer und Unternehmensberater, der im deutschsprachigen Ausland als "Mutmacher aus der Schweiz" angepriesen wird und für neues Selbstbewusstsein beziehungsweise den "mentalen Turn Around" (Holzheu) ganzer Firmenbelegschaften zu sorgen hat. Sein Lampenfieber, gesteht er, werde von Jahr zu Jahr grösser und je mehr Leute im Publikum sässen, um so "verreckter" sei seine Aufregung.

Warten auf den Auftritt

Diesmal hat er es mit rund 350 Aussendienst-Mitarbeitenden der Norddeutschen Landes-Bausparkasse LBS zu tun, die anlässlich ihrer Jahrestagung zusammengekommen sind, um von ihren obersten Chefs Lob für das "brillante" Vorjahres-Ergebnis, aber auch kritische Warnungen im Hinblick auf den laufenden Geschäftsgang entgegenzunehmen. Als krönender Schlusspunkt oder "Schlussbouquet", wie er seinen Part nicht ganz unbescheiden nennt, steht Harry Holzheu auf dem Programm. Mit seinem "motivational speech" soll er die im harten Konkurrenzkampf an der Verkaufsfront gebeutelten Handelsvertreter mit neuem Mut ausstatten, auf dass sie auch das noch junge Jahr in Angriff zu nehmen wagen.

Doch bis H.H. an der Reihe ist, heisst es für den von Nervosität Gezeichneten, sich in Geduld zu üben. Da lesen zunächst drei Firmenvertreter, in der Reihenfolge ihrer hierarchischen Ränge, drei Reden ab: zuerst der Vorstandsvorsitzende, dann ein Vorstandsmitglied und zuguterletzt ein Geschäftsführer. Hochoben auf der riesigen Bühne stehen die Drei, einer so steril wie der andere, clean, kühl und kontrolliert, piccobello gekleidet, ohne Schuppen auf dem Kragen ihres Jackets und ohne ein Gramm Fett zu viel auf dem Leib, und schlagen ihr Publikum mit Graphiktorten, Tabellen und Wortungetümen ("Vertriebsweganteil", "Schwellenhaushalt", "Instrumentalisierungsphase") schier tot. Die Ausführungen wollen nicht enden, und da nickt der eine oder andere LBSler im abgedunkelten Saal, schön satt vom opulenten Mittagsmahl, schon mal ein und kommt erst dann wieder zu sich, als der Anstandsapplaus seine Firmenchefs auf ihre Plätze verweist.

Nach Zahlen und Fakten darf es dann noch etwas Mensch sein. 16. 20 Uhr: Harry Holzheu tritt vor sein Publikum. Er bittet um Licht, "viel Licht", da er "nur strahlende Gesichter" sehen wolle, und lässt die Saalordner den Overhead-Projektor von der Bühne heruntertragen. Holzheu sucht den direkten Kontakt zu seinem Publikum. Im Verlauf seines Speeches geht er durch die Reihen, drückt Hände, berührt hier eine Schulter, da einen Unterarm: "Ich kann doch nicht oben stehen und über die Köpfe der Leute hinwegdozieren."

Seltsam antiquierte Folien

Anders als seine Vorredner spricht Holzheu frei, zunächst noch etwas verhalten, mit belegter Stimme, und wirkt fast ein wenig verlegen. Er lobt das schöne Blumenbouquet, zusammengestellt nach den Firmenfarben, und zeigt sich "beeindruckt von Ihrem Erfolg: Wozu soll ich Ihnen überhaupt noch Mut machen?", fragt er ein wenig ratlos. Er steht einen Moment lang einfach da, lacht sein lautes, dralles Lachen und warnt sie unvermittelt vor "Sattheit und Selbstzufriedenheit". Nach und nach wird er sicherer, legt seine Folien auf, die im Zeitalter der Multimedia-Shows seltsam antiquiert wirken, seine "Stützpunkte", auf denen sowohl Kernsätze, aber auch Loriot-Cartoons und Fotografien abgebildet sind, und findet den roten Faden.

Er habe nie ein Manuskript, erzählt er später, sondern lasse es reden, aus sich heraussprudeln, lasse sich inspirieren von der Stimmung in einem Saal, von Einwürfen oder Fragen aus dem Publikum und den Ausführungen seiner Vorredner, die er jeweils sehr genau verfolge. Er wisse zum voraus nie, was er im Verlauf seiner ein- bis zweistündigen Speeches sagen werde. Da sei viel Platz für Spontaneität, berge allerdings auch ein gewisses Risiko.

Doch in Hannover trifft Harry Holzheu den Ton. Er kennt die Sorgen und Nöte seines Publikums, war er doch selber "während achtzehn Jahren ein Frontschwein", will sagen ein Verkäufer, und weiss genau, was die LBS-Mitarbeiter nach dem Wechselbad aus Zuckerbrot und Peitsche, verabreicht von ihren Vorgesetzten, jetzt brauchen. Holzheu benutzt einfache, klare Sätze. Er ist ein Mensch unter Menschen, zeigt Gefühle, erwähnt auch einmal seine Tochter und seine Frau, kokettiert ganz ungeniert mit seinem unübersehbaren Übergewicht und hat Witz.

Dankbares Lachen, tosender Applaus

Er macht den Handelsvertretern Mut, appelliert an ihre Einzigartigkeit und Unersetzbarkeit und doppelt mit einer Folie nach: "Sie sind einmalig. Sie sind ein Unikat, ein Unique Selling Proposition, ein USP." Im Staccato geht es weiter: "Sagen Sie ja zu sich selbst, mit ihren Stärken und Unvollkommenheiten. Die anderen sind auch nicht besser." Beifall brandet auf, und Holzheu gibt noch einen drauf: "Oder frei nach der Transaktionsanalyse: "Ich bin nicht okay, du bist nicht okay, das ist schon okay." Dankbares Lachen, tosender Applaus - jetzt hat er seine Zuhörer endgültig im Griff und spielt die Routine desjenigen aus, der seit mehr als zwanzig Jahren Motivation und Kommunikation predigt.

Harry Holzheu ist der Inbegriff des Selfmade-Man, der als bescheidener Spediteur aus Zürich-Wollishofen begann und sich heute als Unternehmer mit einem Jahresumsatz von einer knappen Million Franken präsentiert. Nach frühen Auslandsaufenthalten in England und Norwegen bildete er sich stets autodidaktisch weiter und perfektionierte so seine Englisch- und Französischkenntnisse. Er wurde Verkaufsberater und Verkaufsleiter bei IBM und Philips Schweiz.

Da er sich als regelrechtes Verkaufs-Talent entpuppte, begann er, seine rhetorischen Fähigkeiten zu schulen und übernahm anfangs der siebziger Jahre seine ersten öffentlichen und innerbetrieblichen Kommunikations- und Motivationsseminare für Verkaufs- und Führungskräfte. Vor genau zwanzig Jahren machte er sich selbständig. Inzwischen hat er rund 20'000 Männer und Frauen in seinen Seminaren trainiert; hinzu kommen "Tausende aus ganz Europa, die er mit seinen berühmten Motivations-Reden aus der Wüste der Verzweiflung am Arbeitsplatz geholt hat." (Eigenwerbung)

Harry Holzheu mangelt es nicht an Selbstbewusstsein. Er kennt inzwischen seinen Wert, kann sich vor Aufträgen kaum retten und jettet zwischen Stuttgart, Köln, Paris, Genf und Hannover hin und her. "Der Mutmacher aus der Schweiz" hat allerdings auch seinen Preis. In der Regel verlangt er für einen "Motivational Speech" zwölf- bis fünzehntausend Franken. Dem Kaffeekonzern Tchibo war er einst sogar 30'000 Mark wert - "genausoviel wie der ebenfalls referierende Graf Lambsdorff."

Umsatz verdoppelt

Vor einigen Jahren hat er sein Tun zusätzlich professionalisiert, indem er die Hilfe eines PR-Beraters in Anspruch genommen hat. Diese Dienstleistung kostet ihn zwar jährlich rund 50'000 Franken, hat allerdings auch dazu beigetragen, dass er seinen Umsatz verdoppeln konnte. Dafür nimmt es der Temperamentvolle mit leichter Neigung zum cholerischen Aufbrausen sogar in Kauf, dass sein Berater ihn immer wieder an die Leine zu legen versucht, indem er ihn zur Mässigung anhält: "Nicht so laut, nicht so direkt, Herr Holzheu!"

In Hannover gibt er soeben ein Bonmot von Abraham Lincoln zum besten: "Man kann alle Leute eine Zeitlang bescheissen und viele Leute die ganze Zeit, aber nicht alle Leute die ganze Zeit." Gelächter, Applaus. Das Publikum liebt Harry Holzheu. Aufmerksam folgt es seinen Ausführungen von "Selbstakzeptanz und Ich-Realität", lässt sich vor "Wunschbildern" warnen und per Folie sagen: "Erfolgreiche Menschen sind immer ganz sie selbst. Sie wirken echt und überzeugend und hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck." Und als er noch erzählt, dass seine Frau ihn immer dann, wenn er seine Lieblingsmütze trage, als "Schweinchen Schlau" bezeichne, er sie aber aller Kritik zum Trotz dennoch trage, weil sie ihm gefalle, hat er weitere Sympathie-Punkte gewonnen.

Holzheu profitiert nicht zuletzt vom Bonus des Schweizers, dem man in Deutschland gern mit einer Mischung aus Respekt und Wohlwollen, aber auch einer Spur Überheblichkeit gegenüber dem "Hinterwäldler", auf jeden Fall frei von Angst, begegnet. Ein Schweizer ist nett. Harry Holzheu hat darüber hinaus aber auch den Charme des älteren Mannes, der auf väterliche Art seine Mitmenschen liebt. Mitunter allerdings gerät auch er in seichte Gewässer, wenn er sich zu spontanen Komplimenten hinreissen lässt und mit seiner männlichen Verwirrtheit angesichts der Schönheit einer anwesenden Frau kokettiert.

Dabei hat er ja viel Besseres zu bieten. Etwa wenn er geistesgegenwärtig die Aussagen seiner Vorredner aufnimmt oder mit blitzschnellem Witz auf einen Zuruf aus dem Publikum reagiert. Da zeigt er schon fast Entertainer-Qualitäten und erinnert an einen Showmaster wie Hans-Joachim Kulenkampff, der mit seiner grossen Menschlichkeit bestach.

"Pathologischer Optimist"

Holzheu sorgt für gute Stimmung und Zuversicht. In einer Zeit der Angst vor Arbeitsplatzverlust und materieller Not verbreitet er Optimismus - und wird nicht zuletzt deshalb von seinem Freund Ernst Thomke, dem Schweizer Top-Sanierer, als "pathologischer Optimist" bezeichnet. Seine Botschaft ist einfach und eingängig: Alles wird gut, sobald der Verkäufer Einsatz zeigt, an sich glaubt und die von Holzheu vertreten Prinzipien des "emotional selling" befolgt, die in der Kernaussage gipfeln: "Der Kunde muss gute Gefühle haben. Hat er ein gutes Gefühl, ist er vom Verstand her toleranter, grosszügiger, kompromissbereiter." Die Wirksamkeit von Verkaufstechniken und Verkaufsargumenten hält er für begrenzt und animiert seine Zuhörer stattdessen dazu, ihren Kunden "die totale Zuwendung zu geben und sich für sie "als Mensch zu interessieren."

Wenn das denn immer so einfach wäre, möchte man ihm zurufen. Aber Harry Holzheu würde mit Sicherheit auf die eigene Person verweisen und sagen: "Schauen Sie mich an!" Recht hat er. Nicht zuletzt deshalb gelingt es ihm ja, sein Publikum für sich einzunehmen. In einem regelrechten Schlussspurt hämmert er den Männern und Frauen in immer schnelleren Rhythmen das Credo eines Gläubigen ein: "Nutzen Sie Ihr Potential! Sie haben das Mögliche gemacht. Ab jetzt machen Sie das Mega des Möglichen. Jetzt erst recht!" Aus. Ende. Tosender, langanhaltender Beifall. Genau diesen "Kick" hat das Publikum gebraucht. Power liegt in der Luft: Packen wir's an! Harry Holzheu wirft die Arme in die Luft, ballt die Fäuste in der Pose des Siegers. Jetzt ist sein Hemd von oben bis unten nass, sein Kopf glänzt rot und verschwitzt. Ein LBS-Vorstandsmitglied verabschiedet den Stargast des Tages mit höflichen Worten. Harry Holzheu packt seine Folien ein, schliesst seine Aktentasche und geht.

Jetzt will er nach Hause, spürt "Stalldrang", wie er es nennt, und ist "gottefroh", dass er noch das letzte Flugzeug nach Zürich erwischt und nicht in einem Hotelbett übernachten muss. Erschöpft, aber zufrieden mag er nun auch wieder essen und trinken, vertilgt das Lufthansa-Gedeck mit Heisshunger und gönnt sich zwei kleine Fläschchen Riesling-Sylvaner.

Der Prophet im eigenen Land...

Mitunter falle er nach solchen Tagen, während denen er stundenlang unter Starkstrom stehe, bis es zur Entladung, das heisst seinem Auftritt, komme, am Abend regelrecht in ein psychisches Vakuum und könne die Freude über die getane Arbeit gar nicht geniessen. An diesem Freitagabend allerdings ist H.H. gut drauf. Mit Grund, denn die Reaktionen des LBS-Publikums lassen nichts zu wünschen übrig. Die einen erlebten seine Rede "von der ersten bis zur letzten Minute als hochspannend". Schlicht und einfach "toll" fanden andere den "Herrn Holzheu" und rühmen seinen "witzig-heiteren Ton", aber auch die "Anregungen", die er ihnen gegeben habe und dank derer man motiviert werde, "das eigene berufliche Handeln kritisch zu überdenken". Lob auf der ganzen Linie. Das Ausland steht auf Harry Holzheu - keine Frage.

Im eigenen Land hingegen schlägt dem Motivator ein kühlerer Wind entgegen. Voller Skepsis beäugen hiesige Personalverantwortliche das Tun Holzheus, zweifeln an der Wirksamkeit seiner "motivational speeches" an Grossveranstaltungen. Da ist schnell die Rede von "Scharlatanerie" oder "Versimpelung". An die Kraft der Emotionalität mögen hierzulande viele noch nicht so recht glauben. Einer, der "den Harry" gut kennt, glaubt allerdings auch, dass "eine Saftwurzel wie Holzheu den vielen defensiven und unsicheren Schweizern schlicht Angst macht." Im Ausland hingegen, insbesondere auch in Deutschland, gebe es genug Platz für "einen ganzen Menschen" wie ihn.

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© Barbara Lukesch