Unterwegs mit Almaz und Karlheinz Böhm

Entwicklungshelfer / 12. Oktober 2001, "Annabelle"

Symbolbild Thema Porträts

Karlheinz Böhm redet wie ein Buch. Er hat noch nicht einmal auf dem Sofa in der Suite 511 des Zürcher Nobelhotels Eden au Lac Platz genommen und erklärt bereits ungefragt, dass ihn der Luxus dieses Hauses irritiere. Doch schliesslich könne man ja nicht ständig ein schlechtes Gewissen haben, nur weil man einen Teil seiner Zeit auch in dieser Welt verbringe. Nahtlos reiht er Satz an Satz, wettert gegen den Computer und die Umweltzerstörung, stellt die Grundprinzipien seiner Organisation 'Menschen für Menschen' vor, erzählt von den Bauern Äthiopiens, denen man nicht einfach "husch, husch" unsere westlichen Errungenschaften überstülpen dürfe, zählt auf, was die Menschen in diesem armen Land brauchen: Wasserstellen, Ernährstationen, Krankenhäuser, Schulen, Strassen. In jenen Momenten, in denen sich jeder andere eine Atempause gegönnt hätte, kündigt Böhm die Themen an, die er auch noch anschneiden will: "Darauf komme ich noch zu sprechen." Da hat offenbar einer Angst, unterbrochen zu werden und mit seiner Botschaft nicht durchzudringen.

Seine Frau Almaz hingegen ist die Ruhe selbst. Die Äthiopierin sitzt in beträchtlichem Abstand neben ihm, und als er mitten im Redefluss seine Hand auf ihren Oberschenkel legen will, muss er seinen Arm ordentlich ausstrecken, um ihr Bein überhaupt zu erreichen. Almaz nestelt derweil an ihren langen, manikürten Fingernägeln und gähnt herzhaft. In der Suite ist es aber auch stickig und viel zu warm.

Zum "Heiligen" stilisiert

Karlheinz Böhm ist 73 Jahre alt und hat natürlich viel zu erzählen. Da war er während Jahrzehnten ein internationaler Filmstar, ein Frauenschwarm auch, der sich als Kaiser Franz-Josef an der Seite von "Sissi" in den Herzen eines Massenpublikums verewigte. Seit genau zwanzig Jahren steht er der Hilfsorganisation 'Menschen für Menschen' vor, die nicht zuletzt dank seiner Popularität auf regen Spendenzuspruch zählen kann und zahlreiche Hilfsprojekte in Äthiopien umsetzt. Auch in dieser Rolle geniesst er höchste Anerkennung und wird mitunter gar zum 'Heiligen' stilisiert.

Almaz ist mit ihren 37 Jahren genau halb so alt wie er und lässt ihrem Ehemann gern den Vortritt. Dabei spricht sie sehr gut Deutsch, noch dazu mit den charmanten Anklängen an ihre österreichische Wahlheimat. Nach einer gewissen Zeit lässt sie sich doch noch aus der Reserve locken.

Frau Böhm, was ist Ihre Motivation für Ihr Engagement im Rahmen von "Menschen für Menschen"?

Almaz Böhm: Meine Motivation ist er. Karl ist für mich ein Beispiel dafür, dass auch ein einzelner Mensch sehr viel Positives bewirken kann. Wenn sogar er als Ausländer und ehemaliger Schauspieler, der ein schönes Leben hatte, seine ganze Schaffenskraft meinem Land widmet, ist es für mich selbstverständlich, dass ich das gleiche tue.

Wie präsentiert sich die Situation der Frauen in Äthiopien?

Almaz Böhm: Je nach Stamm, Religionszugehörigkeit und Herkunft ganz unterschiedlich. In den Städten wie Adis Abeba gibt es Anwältinnen, Ärztinnen, auch Frauen im technischen und im Managementbereich. In verschiedenen Nomadenstämmen aber dürfen die Frauen nicht mal neben ihren Männern sitzen und gemeinsam mit ihnen essen. Diskussionen über Familienplanung sind sowieso undenkbar. Die Landfrauen generell haben keine Rechte. Als geschiedene oder verwitwete Frau wird man geächtet. Auch in den Familien werden die Buben bevorzugt. Die Mädchen müssen Wasser und Holz holen, und die Buben werden in die Schule geschickt. Sprichwörter zeigen die Diskriminierung. Da werden die Mädchen als Esel bezeichnet, die man hauen müsse. Den Frauen wird vor allem grosser Respekt vor den Oberhäuptern der Dörfer abverlangt. Was die sagen, ist immer richtig.

Wie nehmen Sie das Leben der Frauen in Österreich wahr, wo Sie jetzt seit vielen Jahren wohnen?

Almaz Böhm: Verglichen mit der Situation in Äthiopien ist es natürlich sehr positiv. Aber wenn ich in den Zeitungen lese, dass auch die Frauen in Österreich bis zu dreissig Prozent weniger als die Männer verdienen, sehe ich, dass es auch dort noch nicht die absolute Gleichberechtigung gibt.

Was vermissen Sie am meisten in Europa?

Almaz Böhm: Wenn ich ganz ehrlich bin: das Lachen. Das Leben ist hier so schön, aber gleichzeitig sind die Menschen so ernst, ja, traurig. Die Menschen haben fast alles, aber sie geniessen es viel zu wenig. Wenn wir in ein äthiopisches Dorf kommen, in dem "Menschen für Menschen" beispielsweise eine Volksschule errichtet hat, herrscht grosse Freude. Es wird gesungen, getanzt und getrommelt und die Menschen zeigen ihre Begeisterung. Davon spüre ich in Europa wenig.

Können sich Ihre Verwandten überhaupt vorstellen, wie Ihr Leben hier aussieht?

Almaz Böhm: Sie haben mich zum Teil schon besucht und wissen, dass ich nichts Besonderes mache. Das Leben ist für mich Arbeit. Meine Aufmerksamkeit gilt vor allem meinen Kindern, die eine gute Ausbildung bekommen sollen.

Almaz: Vortragsreisen durch Europa

Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Almaz Böhm, die offizielle Stellvertreterin ihres Mannes bei "Menschen für Menschen", reist Jahr für Jahr mehrere Wochen durch Europa und hält Vorträge. Das österreichische Fernsehen widmete ihr einen Dokumentarfilm, in dem nicht zuletzt ihre enge Verbundenheit zu Grödig, ihrem Wohnort, und dessen Bevölkerung zum Ausdruck kommt. Almaz ist Mitglied eines Trachtenvereins. Sie sei von ihren Mitbürgern mit offenen Armen aufgenommen worden, erzählt sie, und nicht ein einziges Mal mit dem vielbeschworenen Rassismus des Haider-Landes konfrontiert worden.

Almaz Böhm tut dem Gespräch gut. Ihr Mann hat sich während ihrer Ausführungen zurückgelehnt und hört ihr aufmerksam zu. Der anfängliche Stress ist gewichen, Entspanntheit herrscht vor. Erst als wir auf das Thema der Frauenbeschneidungen zu reden kommen, jener schauerlichen Tradition, die auch in weiten Teilen Äthiopiens noch praktiziert wird, ergreift er wieder das Wort.

Vor rund drei Jahren habe er den Kampf gegen diese entsetzliche Praxis aufgenommen, die zu nichts anderem diene als der Unterdrückung der Frauen: "Einer beschnittenen Frau wird die natürliche Freude am Geschlechtsverkehr genommen und sie wird von ihrem Ehemann abhängig gemacht." Wer behaupte, die Klitorisbeschneidung erfolge aus Hygienegründen, lüge genauso wie all jene, die sie als Bibel- oder Korangebote ausgeben. Inzwischen sei es "Menschen für Menschen" gelungen, Zehntausende davon zu überzeugen, dieser uralten Tradition abzuschwören. Das Ziel sei, ganz Äthiopien zu erreichen.

Karlheinz Böhm, wieso haben ausgerechnet Sie als Ausländer es geschafft, dieses tiefverwurzelte Tabu zu durchbrechen?

Karlheinz Böhm: Es ist mir entgegengekommen, dass mich die Menschen nicht als Weissen betrachten, sondern als einen von ihnen, der ihnen helfen will. Entscheidend war zudem, dass ich alle Bevölkerungsgruppen angesprochen habe: die Frauen, die die Leidenden sind, aber auch jene Frauen, die als Beschneiderinnen ihr Geld verdienen und - ganz wichtig - die Männer. Nur wenn sich auch die Männer damit auseinandersetzen und erkennen, welchen Schaden die Beschneidung anrichtet, kann ein Schlussstrich gezogen werden.

Almaz Böhm: Unsere Aktionen funktionieren, weil die Bauern es wagen, mit uns über Themen zu sprechen, über die sonst niemand in Äthiopien redet. Ganz wichtig ist zudem, dass ein Mann dieses Projekt leitet. Würde ich als Frau zu den Dorfführern gehen und sie zu überzeugen versuchen, würde ich scheitern. Wobei ich am Anfang auch dachte, Karl sei verrückt. Ich hätte niemals gedacht, dass er zwei Religionsführer dazu bringt, öffentlich zu erklären, dass die Frauenbeschneidung weder in der Bibel noch im Koran vorgeschrieben sei. Als es passierte, habe ich zu ihm gesagt: ‚Karl, spinnen jetzt alle?'

Respekt gegenüber den Menschen

Dass es ihrem Mann gelungen ist, das Vertrauen ihrer Landsleute zu gewinnen, führt Almaz nicht auf all die Schulen, Kliniken, Kinderheime oder Wasserstellen zurück, die er gebaut hat: "Nein. Der Grund ist allein der, dass er sie als Menschen respektiert." Er habe nie Angst vor den Frauen und Männern und ihren Berührungen gehabt. Er trinke aus ihren verschmutzten Bächen, sitze auf den Böden ihrer dreckigen Hütten, erdulde die zahllosen Fliegen und widme ihnen unendlich viel Zeit. Stundenlang diskutiere er mit ihnen und versuche ihre Bedürfnisse zu ergründen: "Wer hat denn sonst noch Zeit für die Bauern?" fragt sie. Karls Aufmerksamkeit und Geduld seien das grösste Geschenk, das er ihnen machen könne.

Almaz' Stimme ist jetzt kräftig. Von ihrer anfänglichen Zurückhaltung ist nichts mehr zu spüren. Wenn sie über ihren Mann spricht, merkt man gut, wie sehr sie ihn schätzt. Auf die Frage, wie sich das ungleiche Paar kennengelernt habe, lacht sie schallend. Lustvoll erzählt sie die Geschichte von der jungen Landwirtschaftsexpertin, die im Rahmen von "Menschen für Menschen" als Leiterin der Abteilung für Rinderzucht angestellt wurde: "Der Kontrast war total: Hier eine Frau, klein, Christin, da die hochgewachsenen Nomaden, Männer und Muslime, und die sollten sich von dieser Frau sagen lassen, wie man Rinder züchtet." Am Anfang sei es ein Alptraum gewesen, nur Karl, ihr Chef, sei von ihrer Anstellung begeistert gewesen. Endlich habe er mal eine Frau in einer leitenden Position gehabt. Sie habe sich sehr für ihn ins Zeug gelegt, habe oft bis spätabends gearbeitet, um all die von ihm bestellten Studien durchzuführen. Eines Tages habe es dann gefunkt: "Das war natürlich eine Sensation innerhalb der Organisation: Eine Mitarbeiterin hatte ein Verhältnis mit dem Chef." Diesen Zustand hätten sie allerdings schnell beendet, und sie habe "Menschen für Menschen" für eine zeitlang verlassen.

Karlheinz Böhm schmunzelt wohlwollend, während Almaz in diesen Erinnerungen schwelgt. Plötzlich packt es auch ihn: "Almi, bitte, lass mich was dazu erzählen."

Jetzt gerät er richtig in Fahrt. Anekdoten von ihrer ersten gemeinsamen Reise nach Europa, noch dazu in die Schweiz, laufen wie Bilder vor seinem inneren Auge ab: Almaz erschrocken angesichts der vielen Menschen, die ihren Mann auf der Strasse anstarrten oder sogar ansprachen und um ein Autogramm baten.

Almaz beeindruckt, als Rolf Knie, ein langjähriger Freund ihres Mannes, sie in einem Rolls Royce über die Autobahn chauffierte.

Almaz erschüttert, als sie erstmals in ihrem Leben vor einem Altersheim stand: "Karl", soll sie damals gestammelt haben, "ist es wahr, dass ihr eure alten Menschen in solchen Häusern versorgt?"

Und Almaz schliesslich fassungslos, als sie in einer Tierhandlung auf der Zürcher Bahnhofstrasse vor den Regalen mit Dutzenden von Konserven stand: Katzenfutter, Hundefutter, Hasenfutter. Dieser Anblick habe sie zutiefst verwirrt.

All diese Szenen, wiederholt er mehrmals, seien ihm so präsent, als seien sie erst gestern passiert. Inzwischen weiss Almaz längst, was ein Autogramm ist, sie hat auch die "Sissi"-Filme ihres Mannes gesehen und grinst: "Ich hätte mich auch in Karl, den Kaiser, verliebt." Tierhandlungen und Pensionistenheime, wie Böhms sie nennen, sind ihr allerdings noch immer ein Graus.

Schluss jetzt mit den nostalgischen Schwärmereien. Die Zeit drängt, und die Arbeit für "Menschen für Menschen" ruft. Realismus und pragmatisches Handeln sind gefragt. Dazu gehört unter anderem auch die Regelung von Karlheinz Böhms Nachfolge. Sein Tod ist kein bisschen tabu, und im Wissen, dass er mit Sicherheit früher sterben wird als seine junge Frau, hat er sie zu seiner "legalen Nachfolgerin" gemacht.

Doch jetzt lebt er noch, hält im Anschluss an dieses Gespräch einen Vortrag bei der UBS, die man unbedingt als Sponsor für eines der besonders wichtigen Ausbildungsprojekte in Athiopien gewinnen will. Weitere Medientermine folgen.

Irgendein Handy der Böhms piepst. Nikolas, der elfjährige Sohn, ist am Apparat. Almaz redet mit ihm Amharisch, ihre Muttersprache, die in den Ohren ihres Mannes immer so klingt, als würde sie schimpfen. In diesem Moment fährt ihr Zeigefinger aber auch steil in die Luft und, durchsetzt mit deutschen Brocken, pocht sie darauf, "heute um halb acht und nicht wie gestern erst um halb zwölf ins Bett zu gehen." Almaz, die Mutter. Zum Abschied ist ihre Stimme wieder ganz sanft, und sie sagt zu Nikolas: "Bussi, Schatz, Bussi."

Karlheinz Böhm wurde 1928 in Darmstadt als Sohn des Dirigenten Karl Böhm und der Sopranistin Thea Linhard geboren. Er wuchs in Hamburg und Dresden auf und verbrachte insgesamt sechzehn Jahres seines Lebens in der Schweiz. In Graz machte er sein Abitur, und am Burgtheater in Wien bekam er Schauspielunterricht. Seine Rolle des Kaisers Franz-Josef in den drei "Sissi"-Filmen mit Romy Schneider trug ihm zwar grosse Popularität beim Kinopublikum ein, bei den Kritikern aber stempelte ihn die Trilogie eher zum harmlosen Unterhaltungsdarsteller. Spätere Filme, unter anderem in Zusammenarbeit mit Rainer Werner Fassbinder, korrigierten dieses Bild. Vor genau zwanzig Jahren gründete Böhm die Stiftung "Menschen für Menschen", eine humanitäre Organisation, die seither zahlreiche Hilfsprojekte in Äthiopien lanciert hat. In der Fernsehsendung "Wetten, dass..." hatte seine Wette mehr als eine Million Mark für die Hungernden in Afrika zusammengebracht und letztlich dazu geführt, dass er seine Schauspielkarriere beendete. Er ist Vater von sieben Kindern und zum viertenmal verheiratet.

Almaz Böhm (38) stammt aus Djidjiga, einer Kleinstadt in Äthiopien, die rund 150 Kilometer von der somalischen Grenze entfernt liegt. Ihr Vater war Bürgermeister des Ortes, ihre Mutter besorgte den Haushalt und betreute die acht Kinder. Almaz' Familie ist fortschrittlich und ermöglichte ihr daher den Besuch des Gymnasiums in Adis Abeba und der Universität in der südäthiopischen Stadt Awassa. Sie ist Landwirtschafts- und Viehzuchtexpertin. 1987 lernte sie Karlheinz Böhm kennen. 1990 heiratete das Paar, das zwei Kinder hat: den elfjährigen Nikolas und die neunjährige Aida. Der Familienmittelpunkt liegt in dem österreichischen Dörfchen Grödig in der Nähe von Salzburg.

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© Barbara Lukesch