Schwerarbeiterin in Sachen Schönheit

Management / 21. Januar 2004, "Annabelle"

Symbolbild Thema Porträts

Doris Hefti hält das Steuerrad fest in den Händen und gibt Gas. Ihr silbergrauer Jaguar heult auf und schiesst pfeilschnell davon. Zürich, Spreitenbach, Freiburg, Emmen, Zürich: Der Tag vergeht wie im Flug. 300 Kilometer Autobahn sind ein Klacks für die 67-jährige Managerin. Abends um 18 Uhr, nach zehn Stunden an der Front, Kundenbesuchen und Verhandlungen, Ärger und Reklamationen, aber auch Lichtblicken und steigenden Umsatzzahlen sitzt ihre Frisur noch genauso perfekt wie morgens um acht, und ihr Lippenstift leuchtet so rosarot, als sei er gerade eben frisch aufgetragen. Müde? Sie lacht schallend: «Das wär ja noch schöner. Heute habe ich mich gefühlt wie in den Ferien.»

Doris Hefti ist eine Schwerarbeiterin in Sachen Schönheit, und das seit vierzig Jahren. Dabei war der Bauerntochter aus Pfäffikon im Zürcher Oberland eine Karriere in der Kosmetikbranche weiss Gott nicht vorgezeichnet. Ihr Vater betrieb eine Futtermühle und handelte mit Sojabohnen und Weizen. Von ihm erbte sie die Geschäftstüchtigkeit, richtete sich schon als Dreizehnjährige daheim eine «Reederei» ein, verschob Schiffe, führte Buch, zahlte Mieten und bediente den Telegrafen. Mangels geeigneter Ausbildungsstätten in der Schweiz schickten ihre Eltern sie an die Betriebswirtschafts-Handelsschule in München. Dort fühlte sich das Bauernmädchen mit den dicken Zöpfen zwar schrecklich einsam, spürte aber schnell einmal, dass eine Kraft in ihm schlummerte, die stärker war als alles andere: «Mein Ehrgeiz war immer schon riesig.»

"Little Swiss Girl"

1964 kreuzten sich ihre Wege mit denen der US-Firmenbesitzerin Estée Lauder. Am Rand eines Golfplatzes in Sanremo entdeckte Mrs Lauder das «little Swiss girl», wechselte ein paar Worte mit ihr und wusste instinktiv: Das ist sie. Diese Frau wird meinem Namen in der Schweiz zu Erfolg und Ansehen verhelfen. Nach einem zusätzlichen Gespräch in Zürich, das ein US-Firmenvertreter mit Doris Hefti führte, war der Entscheid definitiv gefallen. Auch wenn sich die junge Frau, die schon verheiratet und Mutter einer kleinen Tochter war, unter Schönheitspflege damals höchstens die Anwendung einer Vitamol-Salbe vorstellen konnte, witterte sie ihre Chance und sagte zu. In Estée Lauder hatte sie ihre Meisterin gefunden, eine Geschäftsfrau voller Charisma und Überzeugungskraft, brillant, schön, intelligent, inspirierend, aber auch fordernd und sehr anspruchsvoll. Doris Hefti musste ihr versprechen, die Firma Estée Lauder zur Nummer eins auf dem hiesigen Markt zu machen. Dieser Anspruch war hoch, schliesslich konnte sich 1964 kaum eine Schweizerin etwas unter dem Namen Estée Lauder vorstellen. Das US-Label lag im Branchenvergleich weit abgeschlagen auf Rang 16. Doris Hefti nahm die Herausforderung an. Seither widmet sie ihr Leben der Firma Estée Lauder, ihren Crèmes, Parfums und Lippenstiften. Sie denkt Lauder, atmet Lauder, liebt Lauder - Hefti ist Lauder.

In der Anfangszeit reiste sie mit Mrs Lauder wochenlang durch die USA und Kanada, besuchte Firmenfilialen, eignete sich das nötige Fachwissen an, lernte Englisch und sog die Unternehmensphilosophie ein für allemal in sich auf: «Wir sind die Grössten und die Besten.» Das Wort Müdigkeit sei im Vokabular von Estée Lauder überhaupt nicht vorgekommen, erinnert sich Doris Hefti. Stattdessen sei sie vom Glauben an das Positive beseelt gewesen: «Sie war eine begnadete Verkäuferin, gleichzeitig aber auch eine verantwortungsvolle Arbeitgeberin, die schon früh eine Pensionskasse für ihre mehrheitlich weiblichen Angestellten einrichtete.» Doris Hefti war eine mustergültige Schülerin, anpassungsfähig, unglaublich diszipliniert und bereit, alles zu geben. Als sie in die Schweiz zurückkehrte, war sie halb krank vor Erschöpfung: «Das war die härteste Zeit in meinem Leben.» Trotzdem sass sie einen Tag später wieder in ihrem Büro in Zürich. Sie schulte Personal, richtete Verkaufsstände ein, kümmerte sich um Werbung und Marketing, expandierte nach Bern, Basel, Luzern und Genf. Aus dem Landei wurde eine weltgewandte Businessfrau, die die Grenzen ihrer Herkunft sprengte.

10 Jahre Aufbauarbeit

Nach zehn Jahren Aufbauarbeit hatte sie es geschafft. Die Firma Estée Lauder war zur Nummer eins in der hiesigen Kosmetikbranche geworden. General Brand Manager Hefti hatte Wort gehalten. Seither wird sie vom Ehrgeiz getrieben, den Platz an der Spitze zu halten. Fragt man sie, was das Schlimmste in ihrem Leben sei, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen: «Geschäftlicher Misserfolg.» Und das Schönste? «Gute Resultate im Business.» Doris Hefti überlässt nichts dem Zufall. Sonntagabends stellt sie sich jeweils ihre Garderobe zusammen, die sie im Verlauf der kommenden Woche, passend zu den jeweiligen beruflichen Anlässen, tragen wird. An diesem Montagmorgen ist es eine weisse Bluse, dazu ein paar schwarzweisse Pumps. Brillanten glitzern an ihren Ohren, Fingern und am Handgelenk. Ein breites schwarzes Perlenband schmiegt sich eng um ihren Hals. Eigentlich ist Pink ihre Lieblingsfarbe, und so strahlen wenigstens Wangen, Lider und Lippen bonbonrosa und bilden einen starken Kontrast zu ihrem pechschwarzen Haar.

Innerhalb der Branche kennen sie alle. Frau Hefti ist bereits zu Lebzeiten eine Legende. Wer hält schon einem Unternehmen in unserer schnelllebigen Zeit vierzig Jahre die Treue und segelt dabei konstant auf Erfolgskurs? Ihrer Leistung zollt man denn auch unisono grossen Respekt, ist beeindruckt von ihrer «totalen Identifikation» mit der Firma Estée Lauder und erlebt sie als «einen Menschen mit einer Passion, der sich mit Haut und Haar seiner Aufgabe verschrieben hat». Tough sei sie, sehr direkt und ehrlich, und hebe sich damit wohltuend ab von den Vielen im Beautybusiness, die immer nur lächeln und Ja sagen würden. Wer sich mit Doris Heftis Art eher schwer tut, bezeichnet sie als dominant und autoritär. Ausserdem sei sie regelrecht besessen von der Jagd nach Umsatz und Profit und erwarte von den Personen, mit denen sie zusammenarbeite, Extremleistungen.

Miese Arbeit kommt nicht in Frage

Umsatz muss sein: «Was denn sonst?», fragt sie konsterniert. Schliesslich sei es ihr Job, aus Schönheit Geld zu machen. Als im Jahrhundertsommer die Zahlen einbrachen, war sie die erste, die auf ihren Urlaub verzichtete und das gesamte Geschäft auf den Kopf stellte. Die Verkaufsstände wurden umgestaltet, Werbung und Publicrelations überprüft, Aktionen ergänzten das Sortiment, und das Personal bekam neue Anweisungen, damit es die Estée-Lauder-Lotions und Parfums künftig erfolgreicher an Frau und Mann brachte. Die rund hundert Angestellten von Estée Lauder, konstatiert sie mit Nachdruck, seien sich von der ersten Stunde an bewusst, dass sie qualitativ hoch stehende Arbeit leisten müssen. Das fange mit dem Outfit an, das stets perfekt sein müsse. Dazu sei Pünktlichkeit gefragt, Einsatz und Fachkompetenz: «Wer miese Arbeit abliefert, missbraucht unseren Namen und ist bei uns am falschen Ort.»

Doris Hefti kann es sich erlauben, hohe Ansprüche zu stellen, genügt sie ihnen doch selbst vorbildlich. An mindestens sechs, in den letzten Monaten oft auch sieben Tagen pro Woche steht sie für Estée Lauder im Einsatz. Jahr für Jahr legt sie gegen 70 000 Kilometer auf der Autobahn zurück. Für nichts ist sie sich zu schade. Als sie an diesem Montag gegen Mittag in Freiburg eintrifft und im Warenhaus Loeb den neuen Estée-Lauder-Counter erblickt, strahlt sie zunächst: «Super. Sehr schön.» Doch ihrem kritischen Blick entgeht nicht, dass der Ladentisch überfüllt wirkt. Prompt landet ihre Hermès-Tasche auf dem Fussboden, und sie schichtet eigenhändig Nachtcrèmes, Liftingserums und Parfums um. Erst jetzt ist sie wirklich zufrieden. Sie verabschiedet sich von der Regionalverantwortlichen, Küsschen links, Küsschen rechts. Weiter gehts ins Shoppingcenter Emmen, wo Frau Hefti mit einem Manor-Manager Klartext reden muss.

Dosierte Abreibungen

Zum ersten Mal an diesem Tag zeigt sie Anzeichen von Ungeduld und Gereiztheit. Sie lässt den jungen Mann unmissverständlich wissen, dass die Firma Estée Lauder darauf pocht, mit ihrem Sortiment besser platziert zu werden. Das Gespräch endet mit ihrer Ankündigung, am folgenden Tag erneut in Emmen zu erscheinen. Auf der Heimfahrt nach Zürich schmunzelt sie und erklärt, es brauche oft Fingerspitzengefühl, dosierte Abreibungen sozusagen, bis man im Business zum Ziel komme. Würde sie die Macht der Nummer eins, über die sie zweifellos verfüge, missbrauchen, könne sich dieses Vorgehen als kontraproduktiv erweisen. Sie gönnt sich eine Zigarette und lehnt sich bequem in ihrem Sitz zurück: «Das Business zieht wieder an», sagt sie, «der Umsatz ist viel versprechend.» Bisher war der von Estée Lauder mindestens doppelt so hoch wie jener der Konkurrenz.

Befragt man sie nach den Gründen für ihren Erfolg, antwortet sie lakonisch: «Arbeit. Leistung. Kontrolle. Disziplin.» Wolle sie die Bedürfnisse der Kundschaft erfassen und das Personal maximal motivieren, müsse sie in jeder freien Minute an die Front: «Business ist wie Krieg», konstatiert sie ungerührt, «da müssen Sie jedem Detail Sorge tragen und dürfen sich keine einzige Schwäche erlauben.» Sie schweigt und seufzt dann vernehmlich: «Ich habe dieses verdammte Pflichtgefühl in mir und kann gar nicht anders.» Klagen wolle sie trotzdem nicht: «Im Gegenteil. Meine Arbeit bringt mir Erfüllung. Ich liebe sie über alles.» Betrachte sie Frauen in ihrem Alter, sehe sie nichts als Depressionen, Magenschmerzen, Rückenweh und Kummerfalten: «Solange ich arbeite, habe ich solche Beschwerden nicht.»

Dafür nimmt sie auch in Kauf, dass ihre Freizeit zu kurz kommt. Ferien hat sie schon lange auf ihr zweites Leben vertagt. Im vergangenen Jahr hat sie es aber nicht einmal mehr zur Fusspflege, ihrer Dentalhygienikerin und ihrem Coiffeur geschafft und sieht sich seither genötigt, ihre Haare selbst zu schneiden. Heilig allerdings sind ihr ihre Pflichten als Hausfrau. Sie kocht für ihren Gatten eine warme Mahlzeit, egal, ob sie abends um sieben oder zehn Uhr nach Hause kommt. «Da lach ich mich selbst krumm», sagt sie, «aber ich bin dazu erzogen, meinem Mann zu Hause brav wie ein Schäfchen zu folgen.» Im Ernst? Sie nickt: «Ganz im Ernst.»

Die kleine Businessfrau

Im Geschäft allerdings, wo Fritz Hefti, ihr zweiter Mann, als General Manager der Estée Lauder GmbH während 37 Jahren der offizielle Vorgesetzte seiner Frau war, herrschten andere Sitten. Da bot sie ihm Paroli, und wenn sie es für richtig hielt, setzte sie sich auch gegen seinen Willen durch.

Doris Hefti gibt nur wenig Privates preis. Gern erzählt sie allerdings von ihrer zehnjährigen Enkeltochter Arabella, einem aufgeweckten kleinen Mädchen, das sich zum Geburtstag einen Kinderbancomaten wünscht und einmal eine Migros-Kassiererin zurechtgewiesen hat, als diese ein Zehnrappenstück vom Boden auflas und die Münze in den Hosensack steckte, statt sie in die Ladenkasse zu legen. Arabella, sagt die stolze «Omi», erinnere sie stark an sie selbst: «Im Grund genommen hat sie schon heute alles, was eine gute Businessfrau ausmacht.»

Eigentlich hat es sich Doris Hefti fest vorgenommen, nicht immer und überall vom Business zu reden. Sie schafft es zwar, mit einer Bäuerin, mit der sie zufällig ins Gespräch kommt, zwei, drei Sätze über deren Kartoffeln zu wechseln. «Doch spätestens dann», so Doris Hefti, «überlege ich mir, wie ich sie von unserer Tagescrème überzeugen kann. Alles andere empfinde ich als verlorene Zeit.»

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

© Barbara Lukesch