«Brav sein ist eine Falle»

Powerpaar Ehrhardt & Jonen / Januar 1997, "Annabelle"

Symbolbild Thema Frauen

Vor zweieinhalb Jahren schrieb die 40jährige Psychologin Ute Ehrhardt ein Buch, das den deutschen Sachbuchmarkt, aber auch ihr eigenes Leben auf den Kopf stellen sollte. "Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin", der Leitfaden für Frauen, der darlegt, "warum Bravsein uns nicht weiterbringt" (Untertitel), sprengte alle Grenzen. Das Buch wurde bisher mehr als eine Million Mal verkauft und in achtzehn Sprachen übersetzt.

Auf Drängen ihrer Leserinnen hin verfasste Ute Ehrhardt, gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Psychologen Wilhelm Johnen, daraufhin das Handbuch "Und jeden Tag ein bisschen böser". Darin zeigt sie Frauen konkrete Wege, wie sie das "Böserwerden" im Alltag angehen können. Kaum drei Wochen auf dem Markt stürmte auch dieses Buch die Bestsellerlisten und ging inzwischen bereits 200 000mal über die Ladentische. Nach dem Stress der letzten Monate gönnen sich Ute Ehrhardt, Wilhelm Johnen und ihre fünfzehnjährige Tochter Jana 1997 in Australien ein "Sabbatjahr", wie sie es nennen. Kurz vor ihrer Abreise traf "annabelle" das Power-Paar in seinem Haus in einem 300 Seelen-Dorf im deutschen Taunus.

Ute Ehrhardt, wie lautet die Grundbotschaft Ihrer beiden Bücher?

Ute Ehrhardt: Die Grundbotschaft lautet, dass Brav-Sein eine Falle für Frauen darstellt und sie nicht weiterbringt. Frauen müssen endlich einsehen, dass sie nicht jedermanns Liebling sein können. Sie sollen sich nicht so fürchterlich viel Gedanken darüber machen, was andere von ihnen halten, sondern sich fragen: Was will ich? Was sind meine Ziele und Wünsche? Und - ganz entscheidend: Fühle ich mich bei dem, was ich tue, auch wohl? Denn wenn sie sich schlecht fühlen und quälen müssen, ist ihr Erfolg - unabhängig davon, wie er sich nach aussen präsentiert - überhaupt nichts wert. Die Lebensfreude steht also trotz aller Anstrengungen an oberster Stelle.

Was zeichnet ein böses Mädchen - nach Ehrhardt - aus?

Ehrhardt: Ein böses Mädchen hat Spass daran zu gewinnen und zerfliesst nicht vor Mitleid mit dem Verlierer. Sonst ist sein Sieg nämlich nur noch halb so schön. Ein böses Mädchen fordert Gegenleistungen ein, wenn es anderen Gefälligkeiten erweist. Wenn ein böses Mädchen "nein" sagt, hat es gute Gründe und vor allem ein gutes Gewissen dabei. Es ist sich sehr wohl bewusst, dass es andere mit seinem "Nein" verletzen kann, weiss aber auch, dass sich solche Kränkungen im beruflichen oder sonstigen Alltag nicht vermeiden lassen.

Zu "Kampfhennen" sollen Ihre Leserinnen nun aber trotzdem nicht werden. Das stellen Sie bereits im Vorwort Ihres neuen Buches klar. Worin unterscheiden sich böse Mädchen von Kampfhennen?

Wilhelm Johnen: Kampfhennen sind böse um der Bosheit willen, sie sind böse zum reinen Selbstzweck.

Ehrhardt: Kampfhennen sind absolut rücksichtslos, gehen über Leichen und verlieren dabei ihre Lebenslust. Böse Mädchen hingegen gehen nur über Leichtverletzte und bewahren sich stets ihre Freude am Leben. Diesen Unterschied muss man den Frauen regelrecht unter die Nase reiben, weil viele von ihnen Angst haben, dass sie zur zickigen Kampfhenne werden könnten, wenn sie erste Ansätze zum Bösesein zeigen.

Angst hin oder her - die Frauen verschlingen Ihre Bücher und deren Botschaften. Wie erklären Sie es sich, dass die "Guten Mädchen" zu einem derart überwältigenden Erfolg geworden sind?

Ehrhardt: Ich denke, dass sehr viele Frauen realisiert haben, dass ihnen das Brav-und Angepasstsein nichts gebracht hat. Vielleicht sind sie vor lauter Nettigkeit ausgebrannt, ja womöglich gar krank oder depressiv geworden. Nun ist offenbar für viele der Zeitpunkt zur Neuorientierung gekommen. Sie wollen mehr vom Leben haben, und meine Bücher zeigen Hintergründe und geben Tips. In den "Guten Mädchen" erkennen sich die Frauen wieder, sie begreifen Zusammenhänge und entwickeln dann mit Hilfe der Bücher Zukunftspläne, an deren Realisierung sie von nun an arbeiten können.

Johnen: Ich glaube auch, dass die hohe Nutzbarkeit und die gute Verständlichkeit die Bücher so attraktiv für viele machen.

Wie böse sind Sie eigentlich, Frau Ehrhardt?

Ehrhardt: Ich würde sagen, ich bin böse im fortgeschrittenen Stadium. Aber auch ich muss immer noch zulegen und aufpassen, dass ich nicht in alte Muster zurückfalle.

Ihrem Mann haben Sie mit dem zweiten Buch auf jeden Fall ganz schön böse mitgespielt. Laut Vorwort haben Sie dieses Buch zwar gemeinsam geschrieben, auf dem Buchdeckel prangt dann aber nur Ihr Name. Das war doch bisher die Spezialität von Männern: Man(n) lässt die Frauen im Hintergrund mitarbeiten, kassiert die öffentliche Anerkennung dann aber exklusiv.

Johnen (lacht schallend): Ich darf mich dafür jetzt immerhin "mitarbeitender Hausmann" nennen.

Ehrhardt (lachend): Dem ist nichts hinzuzufügen.

Das ist ja wohl nicht Ihr Ernst. Da bestreitet jemand die Hälfte der Arbeit...

Ehrhardt: So war es. Wir haben wochenlang nebeneinander, an einem Tisch, vor einem einzigen Computer gesessen und hatten unheimlich viel Spass daran, gäll, Wilhelm, wie gut unsere Zusammenarbeit funktioniert hat.

... und trotzdem wird der Co-Autor nicht auf dem Buchdeckel erwähnt. Herr Johnen, das muss Sie doch sauer gemacht haben.

Johnen: Das war kein Problem für mich. Es wäre doch merkwürdig und verwirrend gewesen, auf ein Buch, das auch rein optisch ganz klar als Nachfolgebuch der "Guten Mädchen" von Ute Ehrhardt gestaltet ist, plötzlich zwei Namen zu setzen. Da standen rein äusserliche Überlegungen im Vordergrund.

Trotzdem: Wäre die Rollenverteilung umgekehrt gewesen, hätte es einen Aufschrei der Empörung gegeben.

Ehrhardt: Na, das hoffe ich aber auch. Frauen haben da auch viel nachzuholen. Sie müssen endlich aufhören, sich kleinzumachen und im Hintergrund zu verstecken. Ein grosser, starker Mann hingegen kann ruhig mal einen Schritt zurücktreten. Das steckt der locker weg.

Wie definieren Sie, Herr Johnen, denn Ihre Rolle im Zusammenhang mit den "Guten Mädchen"?

Johnen: Ich bin ein Stück weit der Manager meiner Frau. Ich erledige zum Beispiel die Zusammenarbeit mit dem Verlag.

Ehrhardt: Das ist aber noch lange nicht alles. Insbesondere in den Monaten, als ich ständig auf Lesereise war oder Seminare geleitet habe, hat Wilhelm die gesamte Organisation im Büro und im Haus abgewickelt. Er hat meine Termine koordiniert, den Haushalt gemacht, sich um unsere Tochter und deren Schulprobleme gekümmert. Da hing wirklich alles an ihm. Ich war einfach nicht da, und wenn ich zu Hause war, habe ich mich einfach aufs Sofa gesetzt - wie das halt ein arbeitender Ehemann so macht - und habe gesagt: Also, Leute, lasst mich in Ruhe!

Johnen: Als ich mit der Zeit dann gemerkt habe, dass Ute am Ende ihrer Kräfte war - da waren nur noch Tränensäcke...

Ehrhardt (lachend): Na danke!

Johnen: ...da war nur noch Verspannung, war ich auch der Bremser und habe gesagt: So, Schluss jetzt! Du brauchst erst einmal eine Pause.

Ehrhardt: Ich selber habe gar nicht gemerkt, wie sehr mich all die Lesungen und Workshops zu den "Guten Mädchen" beansprucht haben. Das ist in der Euphorie und Freude untergegangen.

Sie selber haben ja auch schon eigene Bücher geschrieben, Herr Johnen. Nun ist es aber Ihre Frau, die mit den "Guten Mädchen" den Vogel abgeschossen und diesen unglaublichen Bestseller gelandet hat. Hat Sie nie der Neid gepackt?

Johnen: Diese Frage wird mir immer wieder gestellt. Ich kann dazu nur sagen: Nein, ich empfinde weder Neid noch Missgunst. Ich weiss, dass wir ein eingeschworenes Team sind und dass all das, was Ute und ich allein und gemeinsam erreicht haben, das Ergebnis unserer Teamarbeit ist.

Wenn man aber hört, mit welcher Lust ihre Frau ihren Erfolg geniesst, könnte man ja schon neidisch werden.

Ehrhardt (lachend): Ich wäre vermutlich sehr neidisch.

Johnen: Ich bin zufrieden mit meiner Rolle als Grauer Eminenz. Öffentliche Auftritte sind sowieso nicht mein Ding; die betrachte ich eher als notwendiges šbel. Schon früher hatte ich folgendes Bild von uns: Wir sind ein Speer, und Ute bildet die Spitze. Kommt hinzu, dass ich mir durchaus bewusst bin, dass Ute ohne jemand, der ihr den Rücken freihält, nicht das Durchstehvermögen gehabt hätte, um die "Guten Mädchen" zu schreiben.

Sie haben also ein klares Bewusstsein für Ihren Anteil am Erfolg?

Johnen: Ja, das habe ich. Und ich muss sagen, Ute gesteht mir diesen Anteil auch völlig selbstverständlich zu.

Wie hat sich Ihr Alltag durch den Bucherfolg verändert?

Ehrhardt: Es gibt ein Leben vor den "Guten Mädchen" und eines danach. Wir haben eine gewisse Zeit gebraucht, um überhaupt zu begreifen, was da vor sich geht.

Johnen: Dazu eine kleine Geschichte. Ute und ich haben bei einem Psychologie-Professor studiert, der mit schöner Regelmässigkeit von "positiven Katastrophen" erzählte. Damals wussten wir zwar nicht so genau, was er damit meinte, heute aber erfahren wir genau das am eigenen Leib: Wir durchlaufen eine "positive Katastrophe". Unser Leben hat sich komplett verändert.

Können Sie das etwas konkreter schildern?

Johnen: Vor wenigen Monaten haben wir unsere gemeinsame psychotherapeutische Praxis in Wiesbaden geschlossen und verkauft. Das ist eine Folge der "Guten Mädchen". Dass wir uns für ein Jahr ausklinken und nach Australien gehen, ist eine andere.

Wie hängt der Australien-Aufenthalt konkret mit Ihrem Bucherfolg zusammen?

Ehrhardt: Ganz einfach: Jetzt verfügen wir über den finanziellen Background, um uns einen solchen Luxus zu leisten. Kommt hinzu, dass wir in Zukunft vermehrt schreiben werden, und das genauso gut in Australien tun können.

Johnen: Ja, denn nach der Erfahrung mit den "Guten Mädchen" dürfen wir ja nun wohl mit Fug und Recht behaupten, dass wir das Metier der schreibenden Zunft beherrschen. So ist einigermassen absehbar, dass auch unsere nächsten zwei, drei Bücher ihr Publikum finden werden - immer vorausgesetzt, sie sind thematisch interessant und gut gemacht.

Wie reagiert Ihre Umgebung auf Ihren Erfolg? Ist die Bevölkerung des 300 Seelen-Dorfes, in dem Sie wohnen, stolz auf ihr Prominenten-Paar?

Johnen: Die Leute beobachten uns sicher, aber sie sind sehr zurückhaltend und distanziert. Da läuft uns keiner nach. Früher waren wir die versponnenen Psychologen, die Städter, und jetzt sind wir halt die berühmten Autoren.

Hatten Sie nie Angst, von der Welle des Erfolgs weggetragen zu werden und die Bodenhaftung zu verlieren?

Johnen: Nein, eigentlich nicht. Unser Haus, zum Beispiel, hat sich weder innen noch aussen verändert. Das einzig neue, was wir uns geleistet haben, ist ein grosses, zugegeben teures Sofa aus London.

Ehrhardt: Es sind schon Journalisten in unserem Haus hier gewesen, die haben sich umgeschaut und gesagt: Aber hier wohnen Sie doch nicht, Frau Ehrhardt...

Johnen: ...Sie wohlhabende Frau...

Ehrhardt: ... das kann doch wohl höchstens Ihr Wochenendhaus sein.

Johnen: Da werden die Dimensionen schnell einmal falsch eingeschätzt. Eine Million Mark ist ja heute nicht mehr das unendliche Geld.

Was sind die belastenden Seiten Ihres Erfolgs?

Ehrhardt: Dass man ganz vielen Leuten immer wieder absagen muss, obwohl es ja einen wahnsinnigen Spass macht, überall gern gesehen zu werden und nette Menschen zu treffen. Damit tue ich mich wirklich schwer.

Johnen: Und da muss man dieser jungen Dame auch manchmal helfend zur Seite stehen und sie bremsen.

Erfolg weckt auch Neid und Missgunst. Sind Sie auch damit konfrontiert worden?

Ehrhardt: Ganz selten eigentlich. Es gibt eine aktuelle, sehr unangenehme Geschichte, die mit Sicherheit auch etwas mit Neid zu tun hat. Unser zweites Buch wird trotz riesigem Verkaufserfolgs nicht auf der "Spiegel"-Bestsellerliste aufgeführt. Würde alles korrekt gehandhabt, müsste es momentan auf Rang Zwei plaziert sein, und zwar direkt hinter den "Guten Mädchen", die seit mehr als einem Jahr nahezu ununterbrochen den ersten Platz belegen. Der für die Bestseller-Liste Verantwortliche gibt uns alle paar Tage einen anderen Grund dafür an, warum er das Buch nicht aufnehmen will. Keiner davon ist stichhaltig. Möglicherweise hält da ein Mann nicht aus, dass zwei Frauentitel dieser Art die beiden Topplätze der "Spiegel"-Liste halten würden.

Ist der Bucherfolg auch ein "Kick" für Ihre Partnerschaft? Nach achtzehn Jahren Beziehung ist man ja vielleicht ganz froh darüber, wenn neue Impulse für ein bisschen frischen Wind sorgen.

Ehrhardt: Natürlich haben die beiden Bücher unheimlich viel Neues in unsere Beziehung gebracht. Ich weiss nicht, ob ich das als "Kick" bezeichnen würde. Dank der beruflichen Zusammenarbeit ist unsere Beziehung eigentlich immer spannend und interessant geblieben.

Sie führen eine ungewöhnliche Ehe. Dazu gehört auch, dass Sie erst nach 18jährigem Zusammenleben geheiratet haben. Hat dieser Schritt einen Zusammenhang mit den "Guten Mädchen"?

Ehrhardt: Nur indirekt. Die Heirat erleichtert einfach vieles, wenn wir jetzt ins Ausland gehen. Vorher war es uns egal, ob wir verheiratet sind oder nicht. Von daher hatten wir nie einen Anlass zu heiraten.

Johnen: Wenn ich ganz ehrlich bin, hatte ich aber auch immer "Schiss" vor dem Heiraten. Da war fast so etwas wie ein Aberglaube, der mir einflüsterte: In dem Moment, in dem ihr heiratet, geht eure Beziehung in die Brüche.

Ganz abwegig ist diese Vorstellung ja nicht. Schliesslich wird tatsächlich jede dritte Ehe geschieden. Woran scheitern, Ihrer Meinung nach, die meisten Beziehungen?

Johnen: Ich bin überzeugt, dass die meisten Ehen kaputtgehen, weil es den Paaren an einem gemeinsamen Lebensentwurf fehlt. Zugespitzt formuliert würde ich behaupten, dass eigentlich nur diejenigen Beziehungen eine Überlebenschance haben, in denen die Partner zusammenarbeiten. Alles andere geht schief.

Damit hätten Sie auch die Erfolgsformel für Ihre Beziehung benannt.

Johnen (lachend): So ist es.

Ehrhardt: Ich denke, dass die Art von Zusammenarbeit, die wir pflegen, sehr speziell ist und sich nicht verallgemeinern lässt. Was hingegen alle betrifft und meiner Meinung nach über Erfolg oder Misserfolg einer Ehe entscheidet, ist die Frage der Abhängigkeiten. Sobald einer vom anderen psychisch, sozial, emotional oder finanziell abhängig ist, und zwar in hohem Masse während eines längeren Zeitraums, entsteht ein ungesundes Ungleichgewicht, an dem die meisten Ehen zerbrechen.

Haben Sie es denn immer geschafft, die Rollen unter sich partnerschaftlich aufzuteilen?

Ehrhardt: Abgesehen von bestimmten Phasen wie jener letzthin, während der ich ständig unterwegs war und praktisch nichts mehr im Haushalt gemacht habe, ist uns das tatsächlich gelungen. Die Kernfrage stellt sich ja immer erst dann, wenn ein Kind da ist. Da entscheidet sich, ob Frauen aus dem Beruf aussteigen und sich zu Hause anbinden lassen. Für uns war von Anfang an klar, dass wir das nicht wollen. Wir wollten beide etwas von unserem Kind haben, wollten aber auch unser Studium umsetzen und berufliche Erfahrungen sammeln. All das bringt man natürlich am besten unter einen Hut, wenn man freiberuflich tätig ist - mit all den damit verbundenen finanziellen Risiken und Unsicherheiten. Doch diesen Preis haben wir halt bezahlt.

Herr Johnen, haben Sie sich nie gewünscht, als Herr im Haus einer ganz traditionellen Familie vorzustehen und alles unter Kontrolle zu halten?

Johnen: Für mich ist es eine langweilige Vorstellung, ganz allein zu bestimmen, wo es durchgehen soll. Ich bin sicher, dass ich mit einer Partnerin, die devot und von mir abhängig wäre, nicht lange klarkommen würde. Das ist ausgeschlossen. Natürlich macht es auch mir keinen Spass, wenn Ute und ich Streit miteinander haben...

Ehrhardt (lachend): Da wäre die kleine "Kusche" dann doch wieder angenehmer...

Johnen: ...aber nach achtzehn Jahren weiss man ja langsam, dass ein Krach nicht jedesmal die ganze Beziehung in Frage stellt, sondern dazu dient...

Ehrhardt: ...eine bestimmte Situation auszufechten. Nicht mehr und nicht weniger.

Das heisst, Sie verfügen über eine gut entwickelte, alltagstaugliche Streitkultur?

Ehrhardt: Ich würde schon sagen, dass wir beide über die Jahre ganz gut Muskeln entwickelt haben.

Werden Sie in solchen Momenten auch mal laut?

Ehrhardt: Ich glaube nicht, dass wir schreien. Aber der Tonfall ist trotzdem unmissverständlich genau wie der Gesichtsausdruck. Wir lächeln nicht, wenn wir streiten.

Johnen: Oh, nein. Da gehts zur Sache. Nichts von wegen: "Also, was denkst du denn...?"

Schatz?

Johnen: Um Gottes willen. "Schatz" gibt es bei uns überhaupt nicht. "Du spinnst" oder "Du hast sie wohl nicht alle" gehören viel eher ins Streitrepertoire.

Gibt es innerhalb Ihrer Partnerschaft überhaupt noch irgendwelche Bereiche, die Sie nach klassischem Rollenmuster handhaben?

Johnen (nach langem Nachdenken): Ich beschäftige mich mehr mit dem Computer. Und anschliessend bekommt Ute Privatunterricht bei mir.

Ehrhardt: Das stimmt. Das dürfte aber auch schon alles in dieser Richtung sein.

Haben Sie, Frau Ehrhardt, nichts klassisch Weibliches anzubieten?

Johnen: Da haben Sie keine Chance.

Häkeln oder Stricken?

Ehrhardt: Kann ich nicht.

Kochen?

Johnen: Tun wir gemeinsam.

Wäsche waschen?

Ehrhardt: Macht jeder - inklusive unsere Tochter - selber.

Und wer erledigt allfällige Reparaturen im Haus?

Johnen: Dafür bin eher ich zuständig. Zusätzlich haben wir noch Utes Vater, einen Feinmechaniker, der das noch besser kann...

Ehrhardt: Und wenn es ganz ernst wird, greife ich zu.

Johnen: Das ist kein Witz. Neulich war der Toaster kaputt, ich sage: Schmeiss ihn weg! Ute sagt: Nöh, den guck' ich mir jetzt mal an. Sie schraubt das Ding auf, findet natürlich den Fehler und repariert ihn.

Die Kinderbetreuung haben Sie von Anfang an partnerschaftlich gehandhabt?

Ehrhardt: Und wie! In den ersten Wochen musste Wilhelm sogar allein wickeln, weil ich Angst hatte, das zarte Kind kaputtzumachen.

Johnen: Wir sagen manchmal im Spass, ich sei die Frau im Haus.

Gemessen an den gängigen Rollenmustern sind Sie auf jeden Fall ein untypischer Mann.

Johnen: So gesehen bin ich sogar sehr weiblich "gestrickt". Wir haben gerade neulich ein paar Fälle in unserem Bekanntenkreis mitbekommen, wo die Männer wieder einmal mit irgendeinem Quatsch aufgetrumpft und martialische Beziehungsbrüche riskiert haben, nur um das letzte Wort zu haben. Da stehe ich nur da und staune.

Hätten Sie, Frau Ehrhardt, überhaupt mit einem Macho zusammenleben können?

Ehrhardt: Nicht im Traum. Da wär ich weg. Interessant ist trotzdem, dass ich immer wieder zu hören bekomme: Du hast Glück, du hast so einen tollen Mann! Dann sage ich immer: Das ist kein Glück und auch kein Zufall. Das ist meine Wahl.

Werden Sie, Herr Johnen, eher bedauert, weil Sie mit so einer emanzipierten und selbstbewussten Frau verheiratet sind, die noch dazu alle anderen Frauen anstiftet, böse zu werden?

Johnen: Nein. Man erlebt Ute ja nun auch nicht als kämpferische Emanze.

Ehrhardt: Und du machst auch nicht gerade den Eindruck eines untergebutterten Pantoffelhelden. Das sehen doch alle, dass da letztlich zwei starke Personen miteinander umgehen.

Ein richtiges Power Couple also?

Johnen: Im Verlag hiess es neulich "Dream Team", aber "Power Couple" gefällt mir noch besser.

Wie ist aus Ihnen der Mann geworden, der Sie heute sind, Herr Johnen?

Johnen: Schwer zu sagen. Da bin ich auf Spekulationen angewiesen. Zum einen bin ich in einem Haushalt mit fünf Kindern gross geworden und habe eine relativ starke Mutter erlebt. Dann habe ich während dem Studium in einer therapeutischen Wohngemeinschaft gearbeitet und dort eine Frauenclique kennengelernt, mit der ich mich wesentlich lieber auseinandergesetzt habe als mit meinen männlichen Kommilitonen, die den ganzen Tag Freud interpretiert haben. Kommt hinzu, dass Ute und ich Gestaltpsychologen und damit sehr an Emotionen orientiert sind. Wenn man diese Denkart einmal verinnerlicht hat, kann man nicht mehr so leicht den aufgeblähten Macho markieren.

Frauen - wissen wir nun - sollen böse werden. Woran mangelt es denn gemeinhin den Männern?

Johnen: Männer müssen kooperationsfähiger und kompromissbereiter werden. Sie müssen kapieren, dass diese ewige Kämpfermentalität, dieses Siegenwollen um jeden Preis und diese enorme Abwehr, wenn ihnen jemand in die Seele zu gucken droht, letztlich sehr schädliche Verhaltensweisen sind.

Genau diese Fragen behandeln Sie in Ihrem Buch "Die Angst des Mannes vor der starken Frau". Im Grunde genommen ist es das Pendant zu den "Guten Mädchen" für Männer. Zum Bestseller ist es trotzdem nicht geworden. Wie lässt sich das erklären?

Johnen: Provokativ gesagt: Es gibt keine lesenden Männer.

Ehrhardt: Kennen Sie nicht den Spruch? "Wollen Sie Ihre Frau erschrecken? Dann lesen Sie ein Buch!"

Johnen: Als gereifter und erfahrenerer Autor würde ich heute zudem einen eingängigeren Titel wählen, der eine interessante Botschaft vermittelt. Ein Buch über Angst, noch dazu Männerangst, ist chancenlos. Die "Guten Mädchen" haben uns gelehrt, welches Potential in einem witzigen Titel und einer attraktiven Aufmachung steckt.

Welche Buchprojekte werden Sie in Australien in Angriff nehmen?

Ehrhardt: Im Hinterkopf haben wir zwei Themenbereiche, über die wir aber natürlich kein Wort verraten werden.

Wie wäre es denn mit einer Fibel für glückliche Ehepaare?

Ehrhardt (lachend): "Die Glücksehe" zum Beispiel...

Johnen: Vielleicht ist das ja einer der beiden Themenbereiche.

Ute Ehrhardt, Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überallhin. 1994. Wolfgang Krüger-Verlag
Ute Ehrhardt, Und jeden Tag ein bisschen böser. 1996. Wolfgang Krüger-Verlag.
Wilhelm Johnen, Die Angst des Mannes vor der starken Frau. 1992. S.Fischer-Verlag.

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© Barbara Lukesch