Pressesprecherinnen im Aufwind

Kommunikation / Nr. 11, 1997, "Bilanz"

Symbolbild Thema Frauen

Ihre Pläne werden wieder einmal über den Haufen geworfen. Nach dem Beschluss der SAirGroup, mit der portugiesischen Fluggesellschaft TAP zu kooperieren, muss Kommunikationschefin Beatrice Tschanz innert Kürze eine Pressekonferenz in Lissabon auf die Beine stellen. Das Telefon läuft heiss. Gott sei dank spricht sie ein paar Brocken Portugiesisch und treibt problemlos einen Saal auf. Die Einladungen an die Medien des Partnerlandes gehen raus. Sie hakt ihre Checkliste ab: Blumen, Hotelreservation, das Modell einer Swissair-Maschine einpacken. Der Auftritt von Konzernchef Philippe Bruggisser, ihres direkten Vorgesetzten, nimmt auf ihrem Pult erstmals Gestalt an. Im gemeinsamen Gespräch erhält er seinen Feinschliff.

Dann die Abreise, der Flug. Die PK. Die Sache läuft rund. Einen Teil der Journalisten betreut sie persönlich. Rückflug. Ein Pressebulletin in drei Sprachen muss raus. Die Mitarbeiter ihres Teams müssen auf den neuesten Informationsstand gebracht werden, und an der Geschäftsleitungssitzung der Airline unter Führung von Jeff Katz fasst sie ein weiteres Mal kurz zusammen, wie die PK in Lissabon verlaufen ist.

Alltag im Berufsleben einer "Zehnkämpferin der Kommunikation" (Unternehmensberater Klaus J. Stöhlker). Beatrice Tschanz ist eine der routiniertesten Kommunikationsfachfrauen dieses Landes. Nachdem sie zwanzig Jahre lang selber journalistisch tätig war, wechselte sie 1987 die Seiten und übernahm zunächst den Posten der Presseverantwortlichen im Verlagshaus Ringier und im Herbst 1991 das Pendant bei der damaligen Warenhauskette Jelmoli. Seit April dieses Jahres ist sie Leiterin Corporate Communications bei der SAirGroup.

Frauenpower steht hoch im Kurs

Damit bekleidet sie eine Stelle, die hiesige Firmen zunehmend häufiger in Frauenhand legen. Nahezu jedes dritte Grossunternehmen setzt bereits heute auf den kommunikativen Frauenpower. Doch das ist nach Einschätzung von Fachleuten erst der Anfang: "Eine eigentliche Welle an Pressesprecherinnen", prophezeit PR-Experte Stöhlker, "kommt erst noch". Die Ausbildungsstatistik des Schweizerischen PR-Instituts in Zürich gibt ihm recht: Seit anfang der neunziger Jahre sind Frauen auf dem Vormarsch und erwerben bereits heute die Hälfte der Biga-anerkannten Berater-Diplome.

Der neue Trend muss seine Gründe haben. Klar - die Zahl der topqualifizierten Frauen hat zugenommen. Und selbstverständlich werden auch die Kommunikationsdienste, jene Stabsstellen, die in der Regel direkt dem Konzernchef unterstellt sind, mehrheitlich von Akademikerinnen, Germanistinnen, Historikerinnen oder Juristinnen, geleitet. Diese Frauen sprechen drei bis vier Sprachen; sie bringen vielfältige berufliche Erfahrungen insbesondere aus den Bereichen Werbung, PR und Journalismus mit. Sie sind im Durchschnitt vierzig Jahre alt, samt und sonders kinderlos - und damit auch so flexibel und zeitlich belastbar wie ihre männlichen Konkurrenten.

Doch selbst all das kann den Frauenboom in den Pressezentralen hiesiger Grossunternehmen, die ihre Konzernspitzen - notabene - nach wie vor fast ausschliesslich mit Männern bestücken - nur ungenügend erklären. Ganz offensichtlich ist der Posten der Kommunikationsverantwortlichen so "gestrickt", dass er auf ideale Art die Bedürfnisse der männlichen Chefs und die beruflichen Wünsche, Eignungen und Neigungen von Frauen unter einen Hut bringt.

Frauen – von Natur aus geeignet

Frauen - und das belegen zahlreiche Studien - verfügen über ein ausgesprochen grosses Kommunikationstalent. "Wer, wenn nicht die Mütter und Ehefrauen", fragt Beatrice Tschanz, "sorgt denn in den Familien für das Gespräch und die Beziehungspflege?" Kein Wunder, gerät der weibliche Umgang mit Menschen häufig offener, spontaner und herzlicher: "Frauen", weiss ein Insider, "treffen den Ton einfach besser." Der Zürcher Headhunter Sandro V. Gianella attestiert ihnen zudem "mehr Feinfühligkeit und Charme" und damit die besten Voraussetzungen für einen Job, der viel gemeinsam habe mit demjenigen eines "Vermittlers" oder "Botschafters".

Darüber hinaus erfordert die Leitung jener Dienstleistungszentrale, in der sowohl die interne wie die externe Kommunikation koordiniert wird, in der aber auch Hauszeitschriften, Geschäftsberichte und Pressecommuniques verfasst und die öffentlichen Auftritte der Konzernleitungsmitglieder vorbereitet werden müssen, ein Höchstmass an Einsatz und Ausdauer, mithin Eigenschaften, die in besonderem Masse bei Frauen ausgemacht hat: "Frauen", sagt er, "sind wesentlich fleissiger als Männer."

Fleissig zu sein, lernen kleine Mädchen schon früh. Schnell einmal merken sie auch, dass es ihnen gut ansteht, zuzuhören und nur dann etwas zu sagen, wenn es wirklich von Bedeutung ist. Vordrängeln sei gar nicht lady-like, wird ihnen beschieden. Lieber blieben sie doch im Hintergrund, fühlten sich in die Bedürfnisse ihrer Umgebung ein und sorgten für deren Wohlergehen und allgemeine Harmonie. Wer mit solchen Ansprüchen von klein auf vertraut ist, hat natürlich weniger Mühe, einen Posten zu bekleiden, in dem er beziehungsweise sie hinter anderen zurücktreten und sich deren Anforderungen unterordnen muss.

Den meisten Frauen fällt denn auch kein Zacken aus der Krone, wenn sie erklären müssen, eine "dienende Funktion" auszuüben beziehungsweise das "Sprachrohr ihres Unternehmens" zu sein. Die vierzigjährige Rieter-Kommunikationschefin Barbara Meili ist überzeugt, dass ihr ihre "traditionell weibliche Erziehung" Eigenschaften wie die Bereitschaft, eigene Wünsche und Bedürfnisse zurückzustellen, vermittelt habe, die ihr bei ihrer jetzigen Tätigkeit "von grossem Nutzen" seien.

Erträgliche Konkurrenz

Frauen, heisst es vielerorts, seien zudem "mehr sachinteressiert und weniger hierachiebesessen" und folglich sehr ansprechbar für eine Stabsstelle, die ihnen das harte Konkurrenzgerangel der Linienfunktionen erspare, aber dennoch Einblick in das Innerste des Unternehmens gewähre.

Informationschefinnen - und auch das gilt es zu beachten -geben sich nach wie vor mit rund zehn Prozent tieferen Gehältern als ihre männlichen Kollegen zufrieden - ein Betrag, der bei Jahresssalären zwischen 150'000 und 250'000 Franken durchaus der Rede wert ist.

Diese Mischung aus finanzieller Anpassungsbereitschaft, beruflicher Dienstbarkeit, aber auch Top-Qualifikation und Kompetenz haben viele männliche Konzernspitzen besonders gern. "Das ist doch herrlich bequem", sagt eine Insiderin, "und garantiert einen reibungslosen Arbeitsalltag". Mitunter muss ja die Pressesprecherin ihrem Chef bei einer Präsentation auch einmal die Folien auflegen oder rasch frischen Kaffee holen. Mit sicherem Blick erfasst sie sofort, wenn das Blumenbouquet grösser als alle Redner ist und plaziert es diskret um. Ihr atmosphärisches Feingefühl lässt sie rasch handeln, wenn das Licht in einem Saal zu grell leuchtet.

"Kommunikationsverantwortliche", weiss ein Szenenkenner, "sind auch Klimafaktoren". Hausintern sind oft sie diejenigen, die bei Restrukturierungen und in Firmenkrisen für die menschliche Komponente im Umgang zu sorgen haben. Doch nicht nur die Basis zählt auf ihre Hilfe. Auch viele Konzernbosse fühlen sich an öffentlichen Veranstaltungen oder während Interviews nur in ihrer Gegenwart sicher und entspannt. "Nursing" oder sogenanntes "Händchen halten", heisst es, gehörten denn auch zu den verschwiegenen Aufgaben der Kommunikations-Verantwortlichen - und würden Frauen für diese Posten prädestinieren.

Hart wie Stahl

Das hören nicht alle der befragten Fachfrauen gern. Doch mit der Rolle der Seelentrösterin ist es ja bei weitem nicht getan. Den Job schafft nur, wer den Spagat zwischen den verschiedensten Anforderungen beherrscht. "Im Idealfall", sagt Klaus J. Stöhlker, "lächelt die Kommunikations-Verantwortliche nach aussen lieblich wie eine Blume und ist innerlich so hart, aber auch elastisch wie Stahl." Nun sind ja Doppelrollen und Mehrfachbelastungen schon seit jeher eine Domäne der Frauen, die gleichzeitig Kinder erziehen, Haushalte führen, in der Schulpflege harte Kommissionsarbeit leisten, erwerbstätig sind und dabei das Management des Alltags von der Pike auf lernen.

Als Informationschefin kommt ihnen diese Art von Flexibilität in besondere Masse zustatten, denn ihr Pflichtenheft ist umfangreich und komplex. Zum einen sind sie direkt dem "Big Boss" des Konzerns unterstellt und erfüllen seine Anforderungen, zum anderen leiten sie selber Abteilungen mit bis zu fünfzig Mitarbeitenden. Heute coachen sie ihren Chef, morgen stehen sie selber vor den Fernsehkameras und geben den Ton an. Diplomatie und Fingerspitzengefühl sollen sie zeigen, gleichzeitig aber auch Hartnäckigkeit und Durchsetzungskraft, wenn es gilt, aufsässige Journalisten abzuwimmeln. Lügen dürfen sie auf keinen Fall. Immer die ganze Wahrheit sagen, führt allerdings auch ins Verderben und wird ihnen als Naivität ausgelegt. Reaktionsschnell und schlagfertig müssen sie sein, gleichzeitig aber auch strategisch denken können.

Kommunikation in Spitzenpositionen ist ein spannungsvoller Job. Catherine Cossy, eine der beiden Informationschefinnen von Bundesrätin Ruth Dreifuss, betont, dass man eigentlich ständig auf Informationspannen und mediale Rundumschläge gefasst sein müsse und viel Energie darauf verwende, Krisenszenarien gedanklich vorwegzunehmen und damit präventiv abzufedern.

Stress, erinnert sich eine Ex-Pressesprecherin, sei auch dann entstanden, wenn ihr der Chef an einem Tag Illoyalität vorgeworfen habe, weil sie angeblich zu vertraulich mit den Journalisten umgegangen sei; sie aber anderntags gerüffelt habe, weil es ihr nicht gelungen sei, die Presseberichte im Sinne des Hauses zu beeinflussen. In Krisen, heisst es unisono, sei man schnell einmal einsam. Das ist eine Erfahrung, die viele Frauen locker wegstecken, sind sie doch weit mehr als ihre männlichen Kollegen, die in Sportvereinen und Jugendgruppen aufwachsen, daran gewöhnt, sich als Einzelkämpferinnen durchzuschlagen.

"Contre coeur" ausbaden

Nicht selten sind Presseverantwortliche auch gezwungen, über den eigenen Schatten zu springen und sich hinter Entscheide ihrer Vorgesetzten zu stellen, die sie selber ablehnen. Frauen, heisst es in der Szene, seien loyaler und eher bereit, "contre coeur" zu agieren. "Welcher Mann", fragt ein Insider, "hätte all die Flops und Peinlichkeiten der UBS-Konzernleitung rings um den Fall Meili derart geduldig ausgebadet und sich vor seine Vorgesetzten gestellt, wie es Kommunikationschefin Gertrud Erismann seit Monaten tut?"

Erismann erträgt die Kritik an ihrer Amtsführung stoisch. Dass die Wirtschaftszeitung "Cash" sie in ihrem diesjährigen Rating der Pressechefs hiesiger Grossunternehmen zur "Absteigerin des Jahres" erkor, nimmt sie scheinbar gelassen hin. Sie habe schon bei ihrer einstigen Wahl zur Nummer Eins betont, dass sie "solche Klassifizierungen für sehr relativ" halte. Auch harsche Kritiken in der "Weltwoche" und in der "Süddeutschen Zeitung", in der ihr "vorauseilender Gehorsam" gegenüber ihren Chefs vorgeworfen wurde, bringen sie nicht aus der Ruhe: "Dass ich meine Chefs nicht öffentlich kritisiere", sagt sie, "heisst doch keineswegs, dass ich intern ein Duckmäuser bin und kusche."

Als Informationschefin eines grossen, mehrheitlich männerbeherrschten Unternehmens müssen sich Frauen eine dicke Haut zulegen. Immer wieder werden von ihnen Verhaltensweisen gefordert, die nicht zum Repertoire der klassisch weiblichen Tugenden gehören. "Wer glaubt", sagt Beatrice Tschanz, "er könne den Job als everybody's darling bestehen, liegt falsch." Man müsse unbedingt lernen, "nein" zu sagen und sich abzugrenzen. Wenn man sich beispielsweise innert Kürze Informationen beschaffen müsse, sei es nötig, aufsässig zu sein, Forderungen zu stellen und seine Vorgesetzten "wie eine lästige Fliege" zu bedrängen - "mit einem Wort zum Störenfried zu werden". Zum anderen erfordere dieser Posten, in dem ständig "Fragen des Ermessens" zu beantworten sind, auch grosse Selbstsicherheit und Risikobereitschaft: "Wer auf die Karte Sicherheit setzt", sagt eine ehemalige Pressechefin, "wird höchstens die Rolle einer besseren Briefträgerin spielen."

Noch immer Nettigkeitsdamen

Das tun - nach Einschätzung von Klaus J. Stöhlker - immer noch zu viele, und zwar nicht zuletzt, weil ihre Vorgesetzten den Stellenwert von Kommunikation und Information nach wie vor nicht erkannt hätten: "Man leistet sich immer noch Nettigkeitsdamen", giftelt Stöhlker, "die im günstigsten Fall charmant sind."

Die Interpretation und Umsetzung des Jobs fällt denn tatsächlich von Unternehmen zu Unternehmen und von Frau zu Frau sehr unterschiedlich aus. Während die einen bei Stellenantritt darauf pochen, an allen Konzernleitungssitzungen persönlich dabei zu sein, um direkten Zugang zu den wichtigen Informationen zu haben, gibt es andere, die sich mit Protokollen zufriedengeben. Beansprucht Migros-Pressechefin Maja Amrein unmissverständlich die Rolle einer "Kommunikations-Beraterin" ihrer Vorgesetzten, will sich Anna-Marie Kappeler, ihre Kollegin von der Winterthur Versicherung, höchstens als "Gesprächspartnerin" von Konzernchef Peter Spälti (und nunmehr Thomas Wellauer) verstanden wissen. Zeigt sich Gertrud Erismann nach wie vor willig, als Sündenbock für die Fehler ihrer Vorgesetzten herzuhalten, hätte Beatrice Tschanz "in einem vergleichbaren Fall längst die Waffen gestreckt und die Konsequenzen gezogen."

Tschanz' Telefon läutet. Filippo Leutenegger von der TV-"Arena" will wissen, ob sich irgendein Thema rings um die SAirGroup kontradiktorisch behandeln lasse. Sie winkt ab. Zwei Notizzettel landen auf ihrem Pult. Rückruf an Journalisten erbeten. Gleichzeitig brütet sie im Hinterkopf eine Idee aus, wie es gelingen könnte, die nächste Jahresbilanz-Pressekonferenz, die "grosse Kiste" für die Informationsverantwortlichen, auf neue Beine zu stellen, sprich lockerer, zügiger und unterhaltsamer zu gestalten. 18 Uhr: Interviewtermin mit der "Bilanz". 19.30 Uhr: Die Kommunikationschefin verlässt ihr Büro. Es ist Feierabend.

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© Barbara Lukesch