Die Folgen von Halifax

Firmensprecherinnen im Aufwind / August 1999, "SonntagsZeitung"

Symbolbild Thema Frauen

Halifax hatte für Beatrice Tschanz weitreichende Konsequenzen. Nachdem sie die grösste Krise in der Geschichte der Swissair mit hoher Professionalität, Mut und viel menschlicher Anteilnahme auf bravouröse Art kommunikativ nach innen und aussen bewältigt hatte, wurde die Leiterin Corporate Communications der SAirGroup von "einer wahren Flut von Anfragen aus dem In- und Ausland überschwemmt".

Mehr als 150 Unternehmen, Organisationen, aber auch Bundesämter bestürmten die Fachfrau, in ihren Reihen Vorträge über Kommunikation und Krisenmanagement zu halten. Rund sechzig Veranstaltungen hat sie seither bestritten und ist unter anderem den Kollegen anderer Airlines, Mitarbeitern der Schweizer Elektrizitätswirtschaft, aber auch den 85 Medienverantwortlichen des weltweit grössten Pharmakonzerns Glaxo Wellcome in Paris und den Mitgliedern des Generalstabs der Schweizer Armee in Bern Rede und Antwort gestanden.

"Halifax", sagt Tschanz, "hat weitherum das Bewusstsein für die Bedeutung der Kommunikation geschärft." Vielerorts habe man von den Swissair-Erfahrungen in den Tagen der Krise lernen wollen, und sie habe die Gelegenheit gern genutzt, um die von ihr hochgehaltenen Werte einer transparenten, ehrlichen, aktiven und dynamischen Kommunikation unter die Leute zu bringen. Mit der Zeit allerdings stiess auch die Powerfrau an ihre Grenzen. Denn kaum sei ein Referat über die Bühne gegangen, seien am nächsten Tag zehn neue Anfragen auf ihrem Pult gelegen.

Lukrative Stellenangebote

So reagierten die einen. Die anderen, und auch das war ein Dutzend, hätten Tschanz am liebsten sofort bei der SAirGroup abgeworben und unterbreiteten ihr höchst lukrative Stellenangebote, die sie "als durchaus schmeichelhaft" empfand. "Tschanz' Kommunikationsleistung", analysiert denn auch die Zürcher Executive Search Rita Baechler Barth, "hat deutlich gemacht, dass sich Frauen gerade in Krisen vorbehaltlos einbringen und damit äusserst glaubwürdig und authentisch wirken."

Beatrice Tschanz ist zur Symbolfigur ihrer Branche geworden und zum Vorbild für viele ihrer Kolleginnen. Zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits ein bemerkenswert grosser Anteil aller hiesigen Unternehmen (siehe Tabelle) ihre Kommunikationsabteilung in die Hände von Frauen gelegt hatten, sorgte die energiegeladene Mittfünfzigerin für zusätzlichen Schub zugunsten ihrer Geschlechtsgenossinnen. Pressesprecherinnen sind gesuchter denn je; und Sylvia Kälin, Kommunikationschefin von Lindt & Sprüngli, weiss aus eigener Erfahrung: "Als Frau hat man zur Zeit klare Vorteile in unserem Beruf."

Frauen - so lautet der einhellige Szenentenor - seien nun einmal kommunikativ begabter als Männer. Sie wirkten herzlicher, empathischer und spontaner und verfügten über ein hohes Mass an Intuition beziehungsweise "Gschpüri" und würden die Bedürfnisse ihres Gegenübers häufig bereits dann erfassen, wenn dieser sie noch nicht einmal in Worte gekleidet habe. Sie seien zudem sachorientierter und weit weniger erpicht auf eine hierarchische Karriere als ihre männlichen Kollegen, mithin auf den mehrheitlich als Stabsstellen konzipierten Kommunikationsposten am richtigen Ort.

Darüber hinaus seien sie äusserst fleissig, belastbar und alltagstauglich, was sich immer dann zeige, wenn sie ihrem Vorgesetzten, oftmals dem CEO eines Konzerns, von einer bestimmten Krawatte abraten, in letzter Minute noch an die Getränke für die improvisierte Pressekonferenz denken oder sich auch nicht zu fein sind, ihrem Chef die Folien für den Overhead-Projektor kurzerhand zu aktualisieren. Flexibilität ist ein Muss für die "Zehnkämpferinnen der Kommunikation" (PR-Berater Klaus J. Stöhlker), die morgens den Konzernchef coachen, mittags die Medienmeute füttern und gegen Abend ihre Abteilung mit bis zu fünfzig Mitarbeitenden neu instruieren. Frauen sind in hohem Masse flexibel, weil ihre Sozialisation sie schon früh darauf vorbereitet hat, dereinst auf verschiedenen Hochzeiten (wie Beruf und Mutterschaft) zu tanzen.

Mehrsprachig und kinderlos

Die Leiterinnen Corporate Communications, wie sie inzwischen weitherum genannt werden, sind aber zumeist auch hochqualifiziert, viele verfügen über akademische Abschlüsse und Berufserfahrungen im Journalismus und/oder in der PR- und Werbebranche, sie sind mehrsprachig und kinderlos, das heisst genauso ungebunden wie Männer.

All das reichte bis Halifax. Dann "setzte Beatrice Tschanz", nach Einschätzung von Executive Search Baechler Barth, "neue Massstäbe und legte die Latte für einen ganzen Berufsstand höher." Seither wünschen sich etliche Unternehmen sozusagen "ihre Tschanz", mithin ein Abbild jener Frau, die in der Stunde der Wahrheit Verantwortung übernahm, keine Risiken scheute und ihren Vorgesetzten unmissverständlich und öffentlich beschied, wer die Zügel der Kommunikation in den Händen hielt.

Tschanz versteht sich nicht als "her master's voice" geschweige denn als "bessere Briefträgerin." Sie hält gar nichts von "vorauseilendem Gehorsam", wenn schon, lacht sie unverfroren, bevorzuge sie "vorauseilende Kritik". Sie sei tatsächlich "eine harte Nuss", könne aber auch einstecken. Als Konzernchef Philippe Bruggisser sie zu Beginn ihrer Zusammenarbeit einmal aufforderte, "erst zu denken und dann zu reden", habe sie zwar schwer geschluckt, aber rasch kapiert, dass sie sich diese Ermahnung zu Herzen nehmen müsse. Nach Einschätzung Stöhlkers repräsentiert Tschanz den "Typ der starken Kommunikations-Fachfrau der Zukunft", währenddem die "loyalen Dienerinnen ihrer Herrn" wie die einstige UBS-Sprecherin Gertrud Erismann der Vergangenheit angehören: "Sie haben versagt", konstatiert Stöhlker ungnädig.

In der heutigen Zeit, in der sich Unternehmen, aber auch Organisationen und sogar Bundesbehörden in rasantem Tempo verändern und in der sich folglich der Informationsdruck und die kommunikativen Spannungen ständig erhöhen, ist professionelle Öffentlichkeitsarbeit ein Gebot der Stunde. Mit der zunehmenden Bedeutung der elektronischen Medien sind zudem kluge, gut repräsentierende Firmenbotschafterinnen gefragt. Kommunikationsverantwortliche sind - nach Einschätzung eines Szenenkenners - inzwischen mit "hochkarätigen Beraterinnen und Beratern" gleichzusetzen.

Zeichen der Zeit sind erkannt

Lukas Mühlemann, CEO der CS Group, setzte ein Zeichen, als er Karin Rhomberg Hug, die Leiterin PR/Communications des Konzerns, zur Direktorin beförderte und damit die Wertschätzung ihrer Arbeit und derjenigen ihres Teams zum Ausdruck brachte.

Die Zeiten, in denen Kommunikation ein modisches Extra war und frei nach dem Motto "nice to have it" abgehandelt wurde, sind endgültig vorbei. Nach Halifax wissen nun auch Ewiggestrige, dass PR und Öffentlichkeitsarbeit nicht nur viel Geld verschlingt - Halifax kostete die SAirGroup in Sachen weltweiter Kommunikation mehr als eineinhalb Millionen Franken -, sondern auch sehr viel bringt: Goodwill, Glaubwürdigkeit und Akzeptanz. Das Beispiel hat Schule gemacht. Beeindruckend, wie dynamisch, offen und offensiv jüngst auch die Migros mit dem Problem des dioxinverseuchten belgischen Pouletfleischs in ihren Läden umgegangen ist.

Da mutet es schon fast anachronistisch an, wie die Novartis-Pressesprecherin Marguerite Mamane ihre Kommunikationsaufgabe interpretiert. In der letzten Ausgabe der Hauszeitung ermahnte sie die Angestellten ihres Unternehmens zu mehr Verschwiegenheit gegen aussen. Der vielsagende Titel ihres überholten Maulkorb-Traktats: "Das Wort ist eine scharfe Waffe."

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© Barbara Lukesch